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Das Orgateam (4/4)

Ein Sketchlet zum Vierten Advent für dreizehn Personen und viele Statisten

Wundersdorf, Oderbruch. Im Wohnzimmer der Familie Langenfeld. Edith sitzt im Schaukelstuhl am Kachelofen, das Telefon am Ohr, und schaukelt.

Edith: Ja klar – da können wir was machen. (Sie lauscht.) Jaaaa. Die haben eigentlich zur Zeit Luft. Also müßte drin sein. Ich rede mit ihr. Wir sind auf jeden Fall da. (Sie lauscht.) Machen wir so. (Sie rekapituliert.) Den Marcello und den Purcell, die Quantz-Duette und den Corelli vom letzten Januar. Alles klar! (Sie lauscht.) Jau! Dir auch! – Ja! Bis dahin! Gruß an Hermann! Ja-a, mach ich! Ja! Tschüß! (Sie legt auf.)

Nanu? Das klingt ja nach Verabredungen zum Musizieren? Skandal!!! Was ist da los? Ganz einfach: Da die Gemeinde derzeit „wegen Corona“ nicht singen soll, gibt es Anfragen, wer in der Messe musizieren könnte. Silke hat, geistesgegenwärtig wie immer, die Chance genutzt, die kleinen Instrumentalkreise zu reaktivieren, die man im kommenden Mai zum Spreewaldrock-Festival sowieso wieder brauchen wird – Stichwort: „Wir bringen die Band wieder zusammen.“ 

 Edith läßt ihre Gedanken um die Musikstücke schweifen. Leise summt sie vor sich hin.

***

Sie steht im Kindergarten vor der Pinnwand. Eine Kuchenliste ist ausgehängt, auf der schon einige Frauen ihre Angebote eingeschrieben haben. Da kommt der Leiter des Kindergartens aus seinem Büro. Es ist Ediths alter Klarinettenlehrer. „Und Sie?“ fragt er freundlich, „bringen Sie wieder einen kleinen Kanon mit?“ Hanna ist da und trägt sich in die Liste ein. Plötzlich ist die Kuchenliste keine Kuchenliste mehr, sondern jede Familie hat sich mit einer Komposition oder einem Lied eingetragen: Name, Musikstück, Tonart, Besetzung. Edith steht auf dem baufälligen Turm der Wundersdorfer Kirche. Ein vierköpfiges Blechbläserensemble bläst einen Choral in die Stadt. „Nicht nur Silke kann in g-moll komponieren“, sagt Ediths verstorbener Vater. Er trägt den Tweedanzug, den sie an den Weihnachtsmann ausgeliehen hat. Sie steht in der alten Taufkapelle mit Ines und Helene. Der Weihnachtsmann hält die drei goldenen Kugeln des Nikolaus in die Höhe. Sie beginnen sich aufzulösen und schweben als himmlische Klänge durch den Raum. „Das ist mein eigentlicher Schatz“, sagt er und wächst zu unheimlicher Größe heran. Sie stehen auf dem Kirchplatz, auf dem ein ganzes Orchester aus Gemeindemitgliedern die himmlischen Klänge produziert. „Viele von ihnen kannte ich noch gar nicht“, sagt der Pfarrer. Edith schaut ihn an. Er trägt einen weißen Mundschutz. Plötzlich reduzieren sich die Melodien auf einen Klingelton. Edith greift nach der Geige des Konzertmeisters, aber auch sie kann nur den Klingelton spielen.

***

Teresa (unwirsch): Mamaaa! Bist du taub? (Sie nimmt den Hörer in die Hand.) Hallo Silke! (Sie lauscht.) Doch, Mama ist noch da. Sie hatte das Telefon auf dem Schoß. Aber ich glaube (sie kichert), sie war gerade richtig ein bißchen eingeschlafen.

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

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