Die Pietà in St. Pauli Bekehrung Bad Aussee. Ein ‚PuLa unterwegs‘
Die Pietà ist eine Mariendarstellung. Der Begriff bedeutet ja Mitleid. Die Skulpturen stellen daher nicht das Leiden Christi in den Vordergrund, sondern das Mitleiden der Miterlöserin Maria. Sie zeigen die Schmerzen der Gottesmutter, die nach der Kreuzabnahme den Leichnam ihres geliebten Sohnes auf den Schoß nimmt.
Vielleicht ist mir deswegen erst im vergangenen Sommer in einer Pfarrkirche, die wir eigentlich seit 15 Jahren aus unseren Urlauben kennen, erstmals wirklich die Pietà aufgefallen, und zwar unter dem Aspekt der besonderen Darstellung Jesu. Es ist die Pietà in St. Pauli Bekehrung in Bad Aussee.
Die Figurengruppe steht im Eingangsbereich der Kirche. Sie ist oberhalb des großen Weihwasserbeckens aufgebaut und fällt eigentlich ins Auge, sooft man die Kirche betritt. All die Jahre über aber habe ich offenbar immer nur die Mariendarstellung abgespeichert, die im Einklang mit der Prophezeiung des greisen Simeon (Lk 2,35) eine der üblichen Ikonographien aufweist: Ein Schwert geht durch ihr Herz als Sitz der Seele.
Im letzten Sommer erst bemerkte ich, daß Christus in dieser Figurengruppe eine Besonderheit aufweist, die mir so noch nie aufgefallen und auch in den nachträglichen Recherchen nicht begegnet ist: Christus hat hier statt der üblichen fünf – sieben Wunden. Denn zu den Wunden in Händen, Füßen und rechter Seite hat der Künstler in einer beispiellosen Brutalität die im dreimaligen Fallen unter der Last des Kreuzes aufgeschundenen Knie des Heilands dargestellt. Obwohl ich Bildbände gewälzt und mich mit einem ausgewiesenen Fachmann in christlicher Ikonographie unterhalten habe, bin ich auf keine vergleichbare Ausarbeitung dieses Bildmotivs gestoßen. Während die Stirn Christi unversehrt erscheint, ist die Haut an den Knien nicht nur aufgeplatzt, sondern einfach weg. In riesigen Wunden erscheint an beiden Knien das rohe rote Fleisch.
Diese Darstellung ist vermutlich deshalb unüblich, weil bei der Ikonographie rund um die Kreuzigung auf Bibeltreue geachtet wurde. Durch das Hinzufügen zusätzlicher grausamer Details umso mehr Mitleid zu erregen, sollte vermieden werden. Und das Fallen unter dem Kreuz ist nicht in den Evangelien belegt. Wie die Begegnung Jesu mit seiner Mutter und mit Veronika ist das dreimalige Fallen erst ein Element der Kreuzwegandachten. Kanonisch ist, daß Pilatus sich die Hände in der sprichwörtlich gewordenen Unschuld wäscht (Mt 27,24), daß Christus mit Dornen gekrönt (Mt 27,29 und Mk 15,17) und gegeißelt (Mt 27,26 und Mk 15,15) wurde und daher schon auf dem Weg nach Golgotha auch diese Wunden trug. Die weinenden Frauen erwähnt nur das ‚Frauenevangelium‘ des Lukas (Lk 23,27f.). Simon von Zyrene wird mit der Funktion, das Kreuz nicht nur tragen zu helfen, sondern gänzlich zu übernehmen, in allen drei synoptischen Evangelien genannt (Mt 27,32; Mk 15, 21 und Lk 23,26). Ein Fallen explizit unter der Last des Kreuzes ist angesichts dieser Erzählungen daher ausschließlich nach dem Johannesevangelium denkbar, das Simon von Zyrene nicht erwähnt und nach welchem Jesus allein sein Kreuz zur Schädelstätte trägt (Joh 19,17).
Vereinzelt bedenken übrigens Pestkreuze die kaputten Knie Christi. Dies könnte aber auch dem Kontext der Epidemie und ihrer körperlichen Sichtbarkeit in Wunden und Beulen geschuldet zu sein: Das Hervortreten der Pest am Körper der Erkrankten drängte einige Bildhauer, auch die Körperlichkeit des geschundenen Leibes Christi am Kreuz stärker in den Vordergrund zu rücken.
Die sieben Wunden Christi in der Ausseer Pietà fielen mir auch deshalb jetzt plötzlich auf, weil vor gut zwei Jahren im Seniorenkreis unserer Pfarrei „Die Symbolzahl 7“ zur Sprache kam. Die Leiterin des Kreises, Frau Mende, hatte eine Fülle von Belegen und Beispielen aus der Bibel, antikem Wissen, Glaubenspraxis, Geschichte und Geographie zusammengetragen, von den Schöpfungstagen und den sieben letzten Worten Jesu am Kreuz über die Sakramente, die Tugenden und Todsünden, die Freuden und die Schmerzen Mariens, die sieben Planeten der antiken Welt, die sieben Hügel Roms bis hin zu den Farben des Regenbogens und der Siebenzahl im Märchen. An ihrem Wissen ließ sie mich wie immer teilhaben. Die sieben Wunden des Kreuzweges Christi, wie wir ihn beten, könnte man mit der Ausseer Pietà nun noch ergänzen.
PuLa wünscht allen Leserinnen und Leser ein gesegnetes Osterfest in offenen Kirchen!
Cornelie Becker-Lamers
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