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“O thou who changest not, abide with me” (2/3)

Warten

Auch für den zweiten Teil meines Beitrags über die „Bleib-bei-uns“-Stücke möchte ich die Chronologie unterlaufen und mit dem wunderschönen Chorsatz eines Musikers beginnen, den wir auf PuLa schon einmal mit einer Komposition vorgestellt haben: Rudolf Mauersberger (1889-1971). Allerdings mußten wir diesmal erst persönlich tätig werden. Denn das Lied ist nur in einer Aufführung auf YouTube zu hören, die man eigentlich nicht hören möchte. Es war mir einfach nicht schön genug gesungen, um es Ihnen hier zu empfehlen. Bei den reizvollen Harmonien, die Mauersberger einsetzt, mußte eine intonatorisch saubere Einspielung her. Da ich aber gerade nicht genügend Stimmen zur Hand habe, sind wir einen Kompromiß eingegangen: Meine Tochter singt den Sopran des Chorsatzes und ich spiele alle vier Stimmen auf dem Klavier dazu.

Ein schlechter Ersatz. Ich weiß. Nichts, aber auch gar nichts kann die menschliche Stimme ersetzen. Unter anderem, weil nur die menschliche Stimme zugleich Sprache in der Musik transportieren kann. Und die Details des Textes sind auch in Mauersbergers Vertonung hochgradig relevant, etwa wenn erst im zweiten Akkord der Tenor den Ton aus dem Alt aufnimmt, mit seiner in Sekundschritten abwärts führenden Phrase beginnt und durch den versetzten Einsatz die Anrede doppelt: „Herr … Herr bleib bei uns!“ Desgleichen der Baß, der in der letzten Melodiephrase durch die Wortwiederholung seines versetzten Einsatzes mit seinem „Bleib“ das Flehentliche dieser Bitte unterstreicht: „Bleibe … bleib bei uns, es will Abend werden.“ (T. 29 – die Noten zum Mitlesen finden Sie übrigens hier)

Nichts kann das ersetzen.

Aber die Harmonien konnten wir mit dem Klavier halbwegs (#temperierteStimmung …) sauber herausstellen. Und die sind eben auch sehr schön und selbstverständlich sehr klug textausdeutend gewählt. Während das Wort „Herr“ ausschließlich in reinen Akkorden erscheint, zweimal in der Tonika (also der Grundtonart des Stückes) Es Dur und einmal in einer kleinen Terz, die zur Mollparallele c gehören könnte, aber versöhnlich in die Subdominante As Dur aufgelöst wird. Ebenso das Wort „bleib“ oder „bleibe“, dessen Vertonung sich ausschließlich in den reinen Akkorden von Tonika und Dominante (B Dur), deren Mollparallelen c und g und der Subdominante As Dur findet. Der göttliche Bereich des Herrn und seiner Treue zu uns ist den reinen Akkorden und den schlichten, klaren Strukturen einer tonalen Harmonik zugeordnet. Ein Gesang der Engel.

Dreimal im Verlauf des Stückes aber bricht die Komposition herb aus diesen einfachen Strukturen aus. Die Subdominante tritt uns in Moll entgegen. Der Akkord wird zudem durch Vorhalte von Septime oder None ins dramatisch Dissonante verzerrt, um lediglich in die Sekundreibung der Sixt ajoutée geführt zu werden. Eine wirkliche Auflösung findet an diesen Stellen nicht statt. Es sind die Worte „Abend“ (T. 10 und 31) und „uns“ (T. 23), die durch diese Dissonanzen verknüpft werden. Der irdische Bereich des Menschen und seiner Ängste, seiner Sterblichkeit und Verlassenheit wird spürbar in den Akkorden, in denen keine Auflösung erfolgt. Die Erlösung läßt auf sich warten, und sie findet sich nur bei Gott und seiner unverbrüchlichen Treue zu uns.

Diese, der Vertonung ablesbare, Intention der Komposition sollte bei jeder Interpretation des Stückes hörbar werden. Wir hoffen, wir haben das in Ansätzen erreicht und möchten Sie nun nicht länger mit theoretischen Erläuterungen von einem ersten Höreindruck abhalten. Hier kommt Rudolf Mauersbergers 1926 geschriebenes „Herr, bleibe bei uns“ in einer Fassung für Sopran und Klavierbegleitung. Enjoy 🙂

Bevor wir als krönenden Abschluß unserer Liedvorstellungen zum Original des „Bleibe bei uns“ aus dem Gotteslob (GL 96) in einem herzzerreißend schönen Arrangement vordringen und dann auch endlich über die Herkunft unseres Beitragstitels aufklären, hier noch eine Frucht des Lockdowns. Also den „Herr, bleibe bei uns“-Kanon kennen ja alle. Und natürlich haben sich auch wieder ein paar übliche Verdächtige an dem Emmaus-Thema kompositorisch vergriffen. Hierauf möchte ich nicht verlinken. Sehr ordentliche Musik hingegen macht eine (oder die???) „Kirchenband“ mit jungen, schönen Stimmen, die Ostern 2020 ein 1991 von Gregor Linßen (*1966) geschriebenes Lied aufgenommen hat und damit einen weiteren Beweis dafür liefert, welches Verbrechen es war und ist, all solchen Menschen seit einem geschlagenen Jahr das gemeinsame Musizieren zu verbieten. Hören Sie zunächst einmal das Lied:

Ich pflege ja bei Liedern, die solche Schmusestimmung und Lagerfeuerromantik verbreiten, gerne von „akustischem Campinggeschirr“ zu reden. Es ist ein von mir geprägter Kampfbegriff, um zu verdeutlichen, daß das Neue Geistliche Lied, etwa zur Gitarre gesungen, genausowenig in die Heilige Messe gehört wie man auf die Idee käme, die Wandlung im Alubecher zu vollziehen. Allerdings muß man nach allem, was man aus anderen Pfarreien so hört, vermutlich mittlerweile sagen: bisher niemand auf die Idee gekommen ist, die Wandlung im Alubecher zu vollziehen … wer weiß, was noch kommt … Aber – das ist eine andere Baustelle!

Da die christliche Erziehung sich jedoch nicht ausschließlich in der Heiligen Messe abspielen kann und sollte, haben solche Lieder und Interpretationen für Freizeiten, Treffen, Wallfahrten, das Singen im Unterricht etc. meines Erachtens absolut ihre Berechtigung und ich wollte auf diese wirklich qualitätvolle Einspielung unbedingt hingewiesen haben.

 

Fortsetzung folgt

 

Cornelie Becker-Lamers

 

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