Heute haben wir für das PuLa-Reloaded einen Text aus dem November 2013, der mitten aus der sozusagen “entwickelten Hochphase” der Auseinandersetzung stammt, damals, als die andere Seite meinte, hinter dem dünnen (sehr dünnen) Schleier vermeintlicher Anonymität ihre Position durch den Mund der Kunstfigur “Else Franke” dartun zu sollen.
Naja, hat nicht lange funktioniert. 😀
So ist das folgende zwar einerseits zeitgebunden, andererseits hat der Text sich aber, meinen wir, ganz gut gehalten, weil er sich anhand der konkreten Situation Gedanken macht, die unverändert von Interesse sind.
Gereon Lamers
Daher viel Spaß mit:
Elsleins Förderstunde, oder: Eine leicht faßliche Anleitung
zum Verständnis literarischer Texte (plus Sketchlet!)
Wie die Zeit vergeht: Jetzt ist es tatsächlich schon gut einen Monat her, daß auf PuLa eine Anleitung zum Verständnis literarischer Texte angekündigt wurde (hier); zu den Punkten 6) und 7) und so will ich dieses Versprechen doch auch endlich einlösen.
Anlaß waren, es sei der verstrichenen Tage wegen daran erinnert, neuerliche Zeilen von unserem „Elslein“ (Enttarnung bereits vor anderthalb Jahren (hier).
Also, „Elslein“. Schauen Sie: Sie erfinden doch auch ständig Sachen. Das mit der „zweijährigen Bußzeit“ zum Beispiel. Das war ja ein richtiger Knüller. Sind außer uns alle drauf reingefallen und haben gar nicht mehr weiter nachgefragt.
Es war aber einfach nicht wahr, vielleicht gar eine Lüge. Keine Literatur und überhaupt nicht lustig.
Oder die Wanderlegende von den gegen den Pfarrer gesammelten Unterschriften. Die war doch bestimmt auch von Ihnen (auch wenn sie selbst ein geweihtes Haupt schriftlich weiterverbreitet hat, leider. Ich habe da dankenswerterweise einen Brief aus dem Kreis 55+, aus dem das hervorgeht). Jedenfalls war diese Legende ja sogar durchaus ausgeschmückt: Vor der Herderkirche würde die jeweilige Sammlerin stehen (denn die Wanderlegende wurde ja nicht nur über mich erzählt, sonst wär‘s ja auch keine Wanderlegende, sondern immer über die, die eben gerade schlecht gemacht werden sollte. Wir sollten schließlich auf gar keinen Fall in den PGR gewählt werden – auch von denjenigen älteren Herrschaften nicht, die sich beim Ausfüllen ihrer Wahlzettel nicht vom „Elslein“ helfen lassen würden.)
Wir haben jede Menge gelacht bei der Vorstellung, wie da jemand angeblich vor der Stadtkirche steht. Denn die Stadtkirche St. Peter und Paul (vulgo „Herderkirche“) war ja damals wegen Restaurierung geschlossen und ihr Vorplatz lange Zeit Baustelle, weil man dort im Zuge der Arbeiten die Grabstätten eines vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein genutzten Friedhofs freigelegt hat (hier). Da sollte also eine von uns mitten zwischen den uralten Skeletten stehen und, den Baulärm überbrüllend, von irgendwelchen versprengten evangelischen Touristen aus Göttingen (Insiderwitz 🙂 ), die trotz allem an der Kirchentür klinken, Unterschriften gegen einen ihnen unbekannten katholischen Priester erbetteln?
Herrlich! Einfach wunderbar!
Das war also immerhin schon mal lustig. Aber trotzdem eine Lüge (denn das war sicher intentional) und keine Literatur.
So. Und jetzt die Wundersdorfer Sketche. Die sind lustig. Und so unglaublich viel wahrer als jede gut belegte Erzählung über die Vorgänge in unserer armen, heruntergewirtschafteten Pfarrei. Warum? Weil sie Literatur sind: „Der Dichtung Schleier“, um mit unserem Weimarer Mitbürger Goethe zu sprechen, „Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.“
Das ist Literatur. Sie sagt die Wahrheit oder läßt die Wahrheit erkennen, obwohl sie u.U. an einem fiktiven Ort spielt mit Figuren, die nie gelebt haben, oder deren Gattung sogar außerhalb der literarischen Konstruktion nicht einmal existiert (denn so ist das ja leider mit sprechenden Schafen, so sehr uns Wolle, Flocke, Kohle, Fixi und Huf auch schon ans Herz gewachsen sein mögen). [Anmerkung der Redaktion: Wie jetzt? Klar kenne ich die Schafe! 😉 ]
Wie funktioniert Literatur? Warum kann sie bei so viel Erfindung die Wahrheit sagen – und eine tiefere Wahrheit als jeder überzeugende Bericht? Eben weil sie gerade nicht von den Zuständen spricht, über die sie etwas sagen möchte. In den Wundersdorfer Sketchen steht nie irgendetwas über irgendjemanden aus unserer Gemeinde, nicht über den Pfarrer, nicht über den Herrn Dechanten – nichts.
Es werden Situationen in einer Parallelwelt geschildert, die Anlaß geben, über die Situation in unserer eigenen Gemeinde nachzudenken. Und indem man dies tut, fällt einem auf: Au Backe – GENAU SO! Genau so läuft das bei uns (Vgl. hierzu ebenfalls bereits hier.
Es ist diese unmittelbare Evidenz der Wahrheit, die die Leistung von Literatur ausmacht. Und da die Lesenden die Erkenntnis im Nachvollzug der geschilderten Situation selber gewonnen und erschlossen haben, sitzt diese Gewißheit der Erkenntnis tiefer, als es nach einer „Hast du schon gehört, was sie sich jetzt wieder geleistet hat/haben“-Erzählung der Fall sein kann. Daß dies bei den Wundersdorfer Sketchen insgesamt ganz gut gelingt, zeigt die oft große Freude derer, die wagen dürfen, über die kleinen Geschichten zu lachen – und leider auch die Intensität des Hasses derjenigen, die sich angegriffen fühlen.
Literatur regt zum Nachdenken an.
Die Lüge muß das Nachdenken unterbinden.
Das ist einer der großen Unterschiede zwischen den Erzählungen unserer „Gemeindeleitung“ und den Wundersdorfer Sketchen. Und da, wie gesagt, jeder Leser selber seine Erkenntnisse gewinnt, hilft nur das PuLa-Leseverbot, das folgerichtig zumindest in den beiden Marionettentheatern unserer Pfarrei auch längst ausgegeben wurde. Insgesamt erinnert die Reaktion von Gemeindeleitung und „Gemeindeleitung“ von Herz-Jesu Weimar auf die PuLa-Sketche an einen DDR-Witz:
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Ein DDR-Bürger geht spät in der Nacht durch Ostberlin und ruft lauthals immer wieder: „Scheißstaat, Scheißregierung!“ Bald taucht ein Stasi-Offizier auf und verhaftet ihn. Der Mann will den Grund dafür wissen, der Mann von der Stasi erinnert ihn an seine lautstarken Äußerungen. Der Mann verteidigt sich und sagt: „Aber ich habe doch gar nicht gesagt, welchen Scheißstaat und welche Scheißregierung ich meine.“ Darauf der Stasioffizier prompt: „Es gibt nur einen Scheißstaat und eine Scheißregierung…“
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Nun kann man Literatur natürlich auch falsch verstehen. Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil ist die literarische und künstlerische Interpretation nämlich keineswegs beliebig, sondern in der Regel gut begründbar – und deswegen kann sie eben auch mit Pauken und Trompeten daneben gehen.
Wie es jüngst dem „Elslein“ wieder passiert ist. Dann stellt sich die Frage, ob man nicht verstehen will, nicht verstehen kann oder nicht verstehen darf.
Letzteres betrifft leider geschlossen die Gruppe derer, die in unserer Gemeinde die (eigentlich für die offene Jugend- und Seniorenarbeit bewilligten und städtisch mitfinanzierten) Räume nutzen, Gruppen anbieten, in den Gremien sitzen (ja: „sitzen“, denn mitbestimmen fällt sowieso aus), Baldachine tragen, lektorieren oder Kommunion austeilen wollen. (Deshalb ist diese Gruppe auch mittlerweile recht klein – denn entweder ist den „Aufmüpfigen“ schriftlich die Erlaubnis zur ehrenamtlichen Arbeit entzogen worden, oder sie haben aufgrund des Klimas in unserer Pfarrei selber darauf verzichtet.)
Außer dem „Elslein“ natürlich. Denn das „Elslein“ ist ja eben genau die, die alles darf und jeweils bestimmt, was wer anders darf und was nicht.
Trotzdem hat das „Elslein“ jüngst einen Sketch falsch verstanden, also nicht verstehen wollen oder können, und uns das auch hingedrückt. Das war wieder ein besonders spannender Moment. Denn wenn etwas mit keinem Wort dasteht und jemand es trotzdem liest, spricht das natürlich Bände über die ureigensten Gedanken des Interpretierenden.
Schauen wir uns das genauer an: „Elses“ Zorn entzündete sich an dem Schafsketch „Unfrisiert“. Unfrisiert ist dabei Fixi, wie wir wissen selber ein Lämmchen und dem erwachsenen Schaf Flocke im Nichte-Tante-Verhältnis verwandtschaftlich verbunden.
Flocke schimpft Fixi aus, weil es ihr peinlich ist, daß Fixi so zerrupft in der Messe aufgelaufen ist, und nebenbei bekommt sein Fett weg, wen Flocke glaubt, sonst noch für den Vorfall mitverantwortlich machen zu können: das Lämmchen Huf. In ihrer Not suchen die beiden nach einer Ausrede bzw. verteidigen sich so geschickt, daß Flocke auf andere Gedanken und der Sketch auf ein weiteres Thema kommt. Ideengeber der Ausrede ist eine Stelle der gerade gehörten Predigt, ausgebaut wird sie mithilfe des von Kohle eingeworfenen Wörtlichnehmens einer feststehenden Redewendung: Daß nämlich jemand „nicht mehr in den Spiegel schauen kann“, weil er sich schändliches Handeln hat zuschulden kommen lassen oder solches aktiv und bewußt deckt.
Also: Fixi, das Lamm, ist unfrisiert. Nun schauen Sie, was das „Elslein“ daraus gemacht hat ( hier Nr. 6) eine „einmal mangelhaft frisierte stellvertretende Vorsitzende des Pfarrgemeinderates“. Faszinierend, nicht wahr? Jedenfalls haben wir jetzt eine Idee, wen der Herr Pfarrer gemeint haben könnte, als er die Predigt zur Oberweimarer Kirchweih zu der Behauptung nutzte, in unserer Gemeinde gäbe es Menschen, die würden andere verachten. PuLa kann er jedenfalls nicht gemeint haben, denn wir versuchen nach dem guten, alten katholischen Grundsatz zu verfahren, die Sünde zu hassen, den Sünder aber zu lieben; Verachtung paßt da gar nicht.
Außerdem könnten, wenn es unsereseits Haß gäbe, überhaupt keine Texte wie die Wundersdorfer Sketche dabei herauskommen!
Und damit komme ich zum zweiten Punkt, den ich auf die Vorwürfe des Eseleins, äh „Elsleins“ 😉 antworten möchte (vgl. hier, Nr. 7). „Seine Ehefrau läßt er in hasserfüllter Weise“ etc. Hm. Sollte das „läßt“ bedeuten, daß „Elslein“ denkt, solche Texte entstünden auf Bestellung? Dann ließe das nur die traurige Schlußfolgerung zu, daß das „Elslein“ noch niemals im Leben etwas Künstlerisches hervorgebracht hat. Kreativität läßt sich nämlich nicht bestellen. Texte wie diese Sketche sind entweder mit einem Schlag im Kopf da, weil sie einem „einfallen“ (der Ausdruck zeigt schon, daß unserer Sprachgemeinschaft eine Art Passivität als Ausgangspunkt des Schöpferischen immer bewußt war) – oder sie entstehen nicht!
[Anmerkung der Redaktion: Nur am Rande sei ergänzend erwähnt, daß in dieser Familie die Zustände auch nicht so sind, daß ich meine Frau irgend etwas „machen lassen“ könnte, was in diesem Kontext ja nichts anderes hieße als, ihr zu „befehlen“, irgendetwas zu tun. Mal abgesehen davon, daß ein solcher Versuch schwerlich von Erfolg gekrönt sein würde: Es ist eben vor allem gar nicht nötig…, vgl. Gen 2,24! 🙂 ; Weiter im Text:]
Auf Bestellung gibt freilich die Ansammlungen unzutreffender und plakativer Vorwürfe, wie sie uns 2012 in zwei unterschriebenen und zwei anonymen Briefen aus dem Kreis der Gemeindesenioren ins Haus flatterten (daß übrigens jetzt nach den Senioren auch Teenager vors Loch geschoben werden, wie der arme „Frosch aus Minsk“ (vgl. hier und hier), verschlägt vielen von uns allerdings den Atem!) – und nur Haß kann die fäkalsprachengesättigten Kommentare produzieren, die sich zuweilen im Emailpostfach meines Mannes finden (natürlich anonym und mit Einmaladresse gesendet). Die sind haßerfüllt. Die Sketche nicht. Daß an den Sketchen also die Kommunikation scheitern könnte, ist sicherlich die dreisteste Lüge des diesmaligen „Else“-Kommentars. Bekanntermaßen ist lange vor PuLa die Kommunikation von Seiten der Gemeindeleitung abgebrochen worden – mit mir gesprächsweise, mit meinem Mann schriftlich, aber am selben Tag.
Das werden sich all die lebhaft vorstellen können, denen es erging wie uns – selbst wenn sie sich zuvor bis zur Selbstverleugnung duldsam und kooperationsbereit gezeigt haben.
***
Um mit was Lustigem aufzuhören: Zu dem in Punkt 8 ) von „Elses“ Kommentar gemachten Vorwurf zum Thema Weltkirche, der uns in Freddy Froschs „schauen sie doch mal über ihren tellerrand“ induziertermaßen wieder begegnet, ist mir eine wunderbare Geschichte eingefallen. Ich will sie zum Abschluß erzählen.
Sie geht so:
Die Seefahrt
Ein Sketch für eine Person
(Beim Auf und Ab der Waage ist die Waagschale mit unserem Kirchenvorstandsmitglied eines Tages völlig aus der Welt hinausgeschleudert worden. Nun treibt die darin befindliche „Else Franke“ ohne Verbindung zu ihrer gewohnten Welt umher. Else klammert sich an den Rand ihrer Waagschale und blickt von Zeit zu Zeit zum Himmel, von Zeit zu Zeit aber auch ängstlich in die kobaltblaue Fläche, auf der sie scheinbar ins Ungewisse treibt. Da zeigt sich ein goldener Streifen am Horizont.)
Else: Hilfe!
Eine Stimme: Was ist, Else? Hab keine Angst!
Else: Da, dort vorn! Da ist die Welt zu Ende!
Die Stimme (lacht gutmütig): Aber Else! Das ist nicht das Ende der Welt – das ist bloß Lamers‘ Tellerrand.
Else: Was?
Die Stimme: Ja! Lamers‘ Tellerrand. So weit bist du noch nie gekommen, aber deshalb stürzt du jenseits des Tellerrandes nicht ins Bodenlose. Also: Fürchte dich nicht!
Else: Aber … aber … der Tellerrand vom Lamers – da hat er selber doch noch nie drüber ‘raus geguckt …
Die Stimme (lacht wieder): Else, Else (die Stimme scheint den Kopf zu schütteln) Aber selbstverständlich hat er das – soweit dies menschenmöglich ist. Denn wisse, du bist hier auf ein großes Geheimnis der kosmischen Logik gestoßen: Sobald man über seinen Tellerrand schaut, verschiebt dieser Tellerrand sich in die Ferne. Es verhält sich mit dem Tellerrand also etwa so wie mit dem Horizont auf den Weltmeeren. Man kommt nie hin – und du kannst deshalb beim Nachdenken auch nie ins Bodenlose fallen.
Else: Aber – wenn das mit dem Tellerrand so ist wie mit dem Weltenhorizont, dann – dann – dann kommt man ja, wenn man weit genug über den eigenen Tellerrand geschaut hat, wieder bei sich selber an?!
Die Stimme (lacht ein herzliches und gutmütiges Lachen): Das ist richtig, liebe Else! Du bist ein kluges Kind! Genauso ist es! Und so muß es sein. Was sollte man denn auch außer sich?
ENDE
Cornelie Becker-Lamers, Weimar
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