Ein Sketchlet zum St.-Nikolaustag für eine Person und eine Schafherde
Wundersdorf, Schafweide. Im Unterstand drängen sich die Schafe und bestaunen einen gutsituierten Herrn unbestimmbaren Alters, der sich an einem Leinensack beträchtlichen Ausmaßes zu schaffen macht. Er trägt einen schlichten, aber gut sitzenden Maßanzug aus robustem Wollzeug und zieht aus dem Sack nach und nach Stiefel und diverse Gewänder hervor.
Was hat das zu bedeuten?
Kohle: Wir freuen uns sehr, daß Sie uns die Ehre Ihres Besuches erweisen. (Er räuspert sich.)
Der fremde Herr: Aber gern, lieber Kohle (er blickt lächelnd in die Runde), liebe Schafe!
Huf: (Platzt heraus): Bisher kannten wir Sie nur aus Büchern.
Fixi (ehrfürchtig): Und von Abbildungen.
Flocke: Das stimmt! Leibhaftig kam bisher immer nur Ihr Stellvertreter nach Wundersdorf.
Wolle: Deshalb haben wir uns schon gefragt, ob es Sie überhaupt … (sie verstummt abrupt, als Grauchen ihr einen Rippenstoß versetzt)
Blütenweiß (rasch): Deshalb haben wir Sie so inkognito erst gar nicht erkannt. (Sie errötet.)
Der fremde Herr (lacht): Ah! Aber der Weihnachtsmann war hier?! (Er fährt in einen der Stiefel, die er aus seinem Sack gefischt hat.)
Kohle (nickt): Mehrfach.
Flocke: Aber den hat man ja zuletzt auch kaum wiedererkannt …
Wolle (lacht): Nachdem Edith seinen Mantel in der Waschmaschine gewaschen hatte!
(Die Schafe lachen ausgiebig.)
Der fremde Herr (bekleidet sich nach und nach mit Schultertuch, Albe, Zingulum und Stola): Ja! Davon hab’ ich gehört. Aber das haben Eure Gewandmeisterinnen ja glücklicherweise wieder geradegezogen.
Kohle: Was verschafft uns nun aber wirklich in diesem Jahr die Ehre Ihres persönlichen Besuchs?
Der fremde Herr: Ganz einfach, lieber Kohle … Der Weihnachtsmann ist in diesem Jahr schon anderweitig beschäftigt (er blinzelt den Schafen verschmitzt zu).
Grauchen (nach einer kurzen Weile gespannter Stille): Und … wo ist er, wenn man fragen darf?
Der fremde Herr: Darfst du, Grauchen! Er vertritt mich mal wieder. Aber diesmal nicht zum Geschenke machen! (Er lacht. Die Schafe halten den Atem an.) Er vertritt mich bei einem besonderen Gremium. (Der fremde Herr macht ein geheimnisvolles Gesicht.)
Wolle (platzt heraus): Sagen Sie nicht …
Flocke (ebenso): … beim Synodalen Weg?! (Eine Art Aufschrei geht durch den Unterstand).
Der fremde Herr: Doch, Flocke und Wolle, genau so ist es! (Die Schafe staunen und raunen um die Wette. Nach einer Kunstpause fährt der Heilige Nikolaus fort) Die Damen und Herren Delegierten hatten natürlich mich persönlich angefragt. Sie wollten meinen Bekanntheitsgrad für ihre ja mehr als zweifelhafte Sache ausnutzen (er schüttelt den Kopf.)
Die Schafe (durcheinander): Da sieht ihnen ähnlich! – Den Heiligen Nikolaus als Promi mißbrauchen! – Es ist doch nicht zu fassen! – Was glauben die eigentlich, wer sie sind?
Der fremde Herr: Ja, es war lustig! Ich habe das aus unserer Paralleldimension heraus ja alles hautnah mitverfolgen können (er lacht auf). Wie der Herr Vorsitzende der DBK, nachdenklich wurde, als Bischof Oster ihm in Erinnerung rief, daß ich Arius beim Konzil von Nicäa geohrfeigt habe. (Seine Stimme bekommt einen zufriedenen Unterton.)
Die Schafe (durcheinander): Ja genau! – Was sagen sie dazu? – Geschah ihm recht! – ‚Nachdenklich‘, soso!
Kohle (gespannt): Und? Man hielt trotz der drohenden Wiederholungsgefahr weiterhin an der Einladung fest?
Der Heilige Nikolaus (schlüpft in eine prächtige goldene Kasel): Jau! „Papperlapapp!“ meinte Irmi. (Nach einem Blick in die Runde) Sie glaubt die Geschichte nicht. (Unter den Schafen entsteht ein akustisches Tohowabohu.) Aber ihr müßt euch nicht ärgern. Ich habe das Problem ja gelöst (er grinst.) Mit dem Weihnachtsmann waren alle vollkommen zufrieden. Nur Seine Eminenz der Kardinal von Köln hat ein wenig skeptisch geschaut, als wollte er sagen: ‚Das? Das ist er doch nicht!‘ Es war hochinteressant! (Er birgt aus seinem Sack eine Mitra und setzt sie sich auf den Kopf.) Habt ihr hier einen Spiegel?
Wolle: Leider nein.
Huf: Für uns reichen Pfützen …
Flocke: Aber es sitzt alles perfekt!
Fixi: Sie sehen wunderschön aus!
Blütenweiß: Es tut uns so leid, daß wir Ihnen beim Ankleiden so gar nicht helfen können!
Eine Stimme aus dem Off (laut und fröhlich): Braucht jemand Hilfe?
Die Schafe fahren herum. Sogar der Heilige Nikolaus stutzt. Wenn er sich nicht in der Paralleldimension der Heiligen befindet, hat auch er nicht den kompletten Überblick. Da steckt eine junge Frau ihr Gesicht zur Tür des Unterstandes hinein. Den dunklen Teint umgibt eine dicke Wolke von schwarzen Locken.
Fortsetzung folgt
Cornelie Becker-Lamers
Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Da haben wir gerade verkraftet, daß der Heilige Nikolaus persönlich auf der Weide erscheint, da kommt schon der nächste Gast. Wer mag die junge Frau sein, die da so unkompliziert auf sich aufmerksam macht? Hoffentlich erfahren wir am nächsten Sonntag mehr!