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PuLa-Reloaded: Spekulatius

Dieses Reload (ja, die Reihe geht weiter!), ursprünglich veröffentlicht zu Neujahr 2012 (!) gehört zu unseren Lieblingstexten. Und auch, wenn es jahreszeitlich so gar nicht passend erscheinen will, nach dem gestrigen Beitrag müssen wir wohl nicht erklären, warum wir es mitten im Sommer bringen, oder? 😉 

 

DIE SPEKULATIUSPLÄTZCHEN

Ein Sketchlet zu Neujahr 2012 für vier Personen

(Wundersdorf, Haus der Familie Langenfeld. Küche. Edith, Emily und Teresa versuchen sich zum ersten Mal an echten Spekulatiuskeksen. Teresa ist gerade dabei, dem vorbereiteten Teig aus Butter und Gewürzen das Mehl hinzuzufügen.)

Edith (alarmiert): Nicht von so weit oben!

Emily: Darf ich jetzt den Speck schneiden?

Teresa: Das wollte ich machen!

Emily: Du hast doch schon das Mehl dazugetan!

Teresa: Na und? Dafür hast Du die Butter geschmolzen.

Emily: Du bist sowieso noch zu klein für das scharfe Messer!

Teresa: Das ist gemein! Immer willst du alles machen!

Emily: Wo ist überhaupt der Speck? Hol ihn doch erst mal aus dem Kühlschrank!

Teresa: Ich weiß ja gar nicht wo der ist!

Emily: Siehst du! Du kannst es gar nicht!

Teresa: Du bist so gemein! (Sie bereitet sich gerade aufs Losheulen vor, als Edith dazwischengeht.)

Edith (versucht die beiden zu übertönen): Hört auf euch zu streiten! Und wieso eigentlich Speck? Da kommt doch gar kein Speck rein!

(Emily und Teresa blicken ihre Mutter entgeistert an. Einen Moment lang ist es mucksmäuschenstill im Raum. Emily hat sich als erste wieder gefangen.)

Emily: Und warum, bitte schön, heißt das ganze dann SPECKulatius?

Edith (legt ihr Gesicht in ihre bemehlten Hände): JETZT versteh ich, was ihr meint! (Sie lacht.) Ihr seid süß! Und klug!

Emily: Warum lachst du dann?

Edith (hat jetzt bemehlte Wangenknochen): Weil es trotzdem nicht stimmt! Spekulatius kommt nicht von Speck und schreibt sich auch nur mit „k“, nicht mit „ck“ …

Emily (zu Teresa): „Speck“ schreibt man nämlich mit „ck“!

Teresa (gereizt): Weiß ich!

Edith: … sondern Spekulatius kommt von „speculator“, das ist lateinisch und heißt in etwa „der Späher“.

Emily: Hä?

Edith: Auf den Modeln hier (sie nimmt eine der Formen von der Arbeitsfläche und zeigt sie den Kindern) war ursprünglich der Bischof abgebildet, wie er zur Visitation – also zum Besuch – auf seinem Pferd in die Gemeinden reitet.

Teresa: Warum?

Edith: Naja, das Wort „Bischof“ hat auch mit Schauen und Spähen zu tun: Bischof kommt von Epi-scopus, und „scopein“ heißt auf griechisch „Schauen“.

Emily: „Scopein“ heißt „Schauen“?

Edith: Ja! Wie in „Tele-scop“, womit man weit schaut.

Emily (begeistert): … oder „Micro-scop“ …

Teresa: … oder „Horror-scop“! (Teresa ist fasziniert. Edith muß lachen.)

Emily: Also, „scopein“ heißt „schauen“. Und „epi“? Das heißt dann wohl „weg“?

Edith: Neinneinnein, das heißt in dem Fall natürlich „drauf“; der Epi-scopus ist eigentlich der Aufseher, der herumreitet in seinem Bistum und nach dem Rechten sieht.

Emily (überlegt einen Augenblick): Und warum kommt unser Bischof dann nicht mal nach Wundersdorf?

Teresa (besorgt): Vielleicht kann er nicht reiten?

Emily: Das wird es sein!

Teresa: Was machen wir denn da?

Emily: Er könnte doch auch fahren!

Teresa: Genau! Papa fährt doch auch jeden Tag in die Hauptstadt!

Emily: Da wohnt doch der Bischof auch, oder, Mama?

Edith (ein wenig ratlos): Jaja, ihr habt völlig Recht …

Teresa: Na also! Dann kann unser Bischof das doch auch!

Emily: Am besten, wir schicken ihm ein paar von unseren Spekulatius-Plätzchen!

Teresa: Jaaaa! Das machen wir! Wo ist der Speck?

Edith und Emily (betont): Es kommt kein Speck rein!!!

Teresa: Ach, stimmt ja! (Sie setzt ihr charmantestes Garfield-Grinsen auf.)

Edith: Neinnein, wir sind fertig mit den Zutaten.

Emily: Dann los! Ich will kneten!

Teresa: Das wollte ich doch!

Edith: Geht das schon wieder los?

Emily (begütigend zu Teresa): Ich halte die Schüssel und du knetest. (Edith atmet erleichtert auf und wirft Emily einen dankbaren Blick zu. Teresa fährt mit den Händen in den fettigen Teig und hat gerade die ersten Klumpen erzeugt, als Richard den Kopf zur Tür hereinsteckt.)

Richard: Hallo Kinder! Habt ihr schon gesehen? Es schneit!

Emily und Teresa: Es schneit!!!! (Beide rennen zum Fenster, wobei Teresa jede Menge Teig auf dem Fußboden verteilt.)

Edith (macht ihr „manchmal fühle ich mich so müde“-Gesicht): Hättest du mit dieser Nachricht nicht noch fünf Minuten warten können? Wir hatten es fast geschafft!

Richard: Entschuldigung! (Er kostet die ersten fertigen Teigklumpen.) Hm! Wird aber lecker!

Emily (vom Fenster aus): Die sind ja auch für unseren Bischof!

Richard: Für den Bischof? Und ich?! (Nimmt mit gespielter Angst die Schüssel in die Arme und dreht sie ein wenig weg.)

Teresa: Ja! Damit er daran denkt, daß er auch ein Aufseher ist!

Richard: Ah, so ist das! Man bekommt Plätzchen geschenkt, zur Ermunterung für seine Arbeit? Das muß ich mir merken! (Er legt Edith den Arm um die Schulter und gibt ihr einen Kuß.)

 

ENDE

Cornelie Becker-Lamers

 

 

Sketch des Monats: Die Visitation

Ein Sketch für sechs Personen

Wundersdorf, Oderbruch. Im Wohnzimmer der Familie Langenfeld. Gemeinsam mit einigen Freunden wollen Richard und Edith die offizielle und wie es scheint pflichtschuldigst abgefeierte Visitation des Bischofs auswerten. Gerade spricht man über die Abendmesse am Eröffnungsabend. Denn sowohl Richard als auch Hanna haben diese Abendmesse verpaßt.

Hanna: Hat er denn nun was zur Wundersdorfer Situation verlauten lassen?

Richard: Genau! Deshalb wart ihr doch hingegangen. – Karl – rot oder weiß? (Er hält zwei Weinflaschen hoch.) Beides Saale-Unstrut.

Edith: „Buy local“ (sie lacht). 

Karl (studiert die Etiketten): Oh! Da hast du ja mal einen halbtrockenen? (Er lacht.) Wie kommt’s?

Edith: Der Kerner geht auf mein Konto. Ich vertrag‘ diese Säure einfach nicht …

Karl: Ja – aber ich würde sagen – nach dem Kuchen – warum nicht?! (Er hält Richard sein Glas hin.)

Richard: Also wirklich den Weißen?

Karl: Den Kerner. Ja!

Richard (gießt Karls Glas bis zur breitesten Stelle voll): Aber jetzt erzählt!

Karl: Natürlich hat er nichts gesagt!

Helene: Naaa – ich denke, es ging nach dem Motto: Wer Ohren hat zu hören der höre!

Karl: Das mit dem „Das ist besonders für Wundersdorf interessant“?

Edith: Das auch, ja, aber ich denke, schon das opening …

Richard (ist noch reihum mit dem Weinausschank beschäftigt): „Opening“ (er schnaubt).

Edith: Naja … also die einleitenden Worte nach dem Kreuzzeichen, bis es wirklich losging, das war schon … also da merkte man schon … das war schon anders …

Hanna: Wie?

Silke: Die ausführlichen Betrachtungen zur Vergebung?

Edith: Ja, das meinte ich. Das war doch länglich. Daß wir im Credo bekennen, daß wir an die Vergebung der Sünden glauben, daß Gott vergibt …

Karl: … ja – aber wie hat er die Kurve gekriegt zu: Das setzt voraus, daß wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind, und daß andere uns vergeben, die an uns schuldig geworden sind … ?

Helene: Gar nicht. Er hat die Kurve gar nicht gekriegt. Er hat es einfach aneinandergehängt.

Karl: Ja! (Er dreht sein Glas in den Händen.)

Richard (hebt sein Glas): Dann laßt uns aber erstmal anstoßen – daß wir endlich mal wieder ans Reden kommen (sie prosten sich zu und trinken einen Schluck.)

Edith: Also das war schon einschlägig in meinen Augen.

Hanna: Stimmt schon … vor dem Hintergrund, daß das Schuldbekenntnis oft ganz hinten runterfällt …

Richard: Trotzdem etwas unspezifisch … Karl, du erwähntest doch vorhin noch etwas von einer Bemerkung in die Richtung „Das ist besonders für Wundersdorf interessant“ …

Karl: Ja, das war gegen Ende der Predigt.

Hanna: Worüber ging denn die?

Helene: Oh! Um einen Tagesheiligen …

Silke: Justin den Märtyrer … gestorben 165 …

Edith: …der doch tatsächlich Jugendliche angesprochen hat! (Alle lachen.)

Karl: Ja – das waren noch Zeiten!

Silke: Nein! Aber das für Wundersdorf Interessante kam im Zusammenhang mit Clemens von Alexandrien …

Hanna: Aaaah! Sein Lieblingsthema!

Richard: Klar! Den kennt kaum jemand, und unser Bischof hat über ihn promoviert …

Helene: Clemens von Alexandrien hat nämlich die Musik so sehr geschätzt – und da kam dann der Hinweis auf Wundersdorf – weil (sie dehnt die Silbe und macht es spannend) in der Musik verschiedene Stimmen in Harmonie zusammenklingen.

Alle (durcheinander): Aaaaah! – ooooh! – na da! – Hört hört … – Sieh mal einer an! 

Edith: Ja! Nicht wahr?! Herzerwärmend! Durch die Musik könne man lernen, daß verschiedene Stimmen harmonisch zusammenklingen können! (Sie macht ein wichtiges Gesicht.)

Helene: Und dabei hat unser Bischof das wichtigste vergessen! (Sie hebt die Augenbrauen. Alle blicken sie gespannt an.) Das funktioniert nur, wenn alle erstens dasselbe Stück spielen …

Silke: Das ist wahr! Und niemand darf falsch spielen wollen. Sonst hat es sich mit der Harmonie!

Helene: Uuuuund …

Hanna: Ja?

Helene (triumphierend): Es braucht einen Dirigenten!

Richard: Jaaa! Das ist wahr! Irgend jemand muß trotz allem die Stimmen koordinieren.

Hanna: Aber er wollte ja nicht wirklich eine Predigt über Musik halten. Das bezog sich schon aufs Gemeindeleben …

Edith: … wo der Dirigent letztlich wer ist?

Karl: Der Ortsgeistliche und letztlich …

Alle: … der Bischof!

Helene: Genau! Der Bischof muß die Harmonie koordinieren und den Stimmen ihre Einsätze geben; keine vergessen und alle auf das gleiche Stück einschwören.

Richard (nickt): Die berühmte Metaerzählung, die in Wundersdorf seit 2015 fehlt …

Edith: … und mit Ende März 2022 nochmal komplizierter geworden ist! Noch mehr verbrannte Leute … noch mehr „War da was?“ … noch mehr fehlende Entschuldigungen …

Richard: … ohne die es auch kein Verzeihen geben kann … schließlich kann man nicht in den luftleeren Raum hinein vergeben … so auf Vorrat …

Silke: „To whom it may concern“ … (sie lacht).

Hanna: Das heißt, unser guter Bischof hat einfach mal wieder seine eigene Rolle in dem Stück unterschlagen! (Alle schauen eine Schrecksekunde lang in die Runde. Karl fängt sich als erster wieder.)

Karl: Ja – aber das paßt doch zu seiner Schlußbemerkung über den Begriff „Bischof“.

Edith (stöhnt): Aaaah! Ich hasse es, wenn diese Leute ihr Amt und den Diskurs mißbrauchen, um den Leuten einen Bären aufzubinden!

Richard: Um Himmels Willen! Was war los?

Helene: Er sagte, Bischof heiße ja wörtlich „Aufseher“, werde in der Bibel ganz häufig mit „Besucher“ übersetzt.

Hanna: Pfff! Die Einheitsübersetzung übersetzt auch Unicornus mit Wildbüffel! Das ist doch kein Maßstab! (Sie schnaubt.) Wer Einhörner abschafft …

Edith: … schafft auch Visitationen ab. Genau! Nein, es kommt noch besser. Ich hab’s nämlich nachgeguckt.

Silke: Jetzt wird’s spannend.

Edith: Das LThK nennt die fünf Stellen, in denen es in der Bibel überhaupt um Bischöfe geht.

Richard: Stimmt! So viele können das naturgemäß gar nicht sein. Kann ja nur in den Briefen.

Edith: Und in der Apostelgeschichte. Genau. Und an allen fünf Stellen übersetzt das MNT natürlich „Aufseher“ …

Alle (durcheinander): Soll sein! … Heißt es ja auch! … Jaja, das MNT ist ja immer nah an der griechischen Wortbedeutung …

Edith: … der Allioli in allen Fällen schlicht „Bischof“. Und weil man da im Grunde drüber weg liest, über den heute so selbstverständlichen Amtstitel, schreibt die neue EÜ dann auch zum Teil wieder „Vorsteher“.

Silke: Ach so?!

Edith: Ja! Und um Visitationen geht es da gar nicht. Der „Besucher“, der herumreist, ist ja jeweils der Briefschreiber – also Paulus oder so. Petrus. In den Textstellen über die Bischöfe geht es drum, wen man vor Ort einsetzt, um dessen seelische und charakterliche Qualitäten.

Karl: Also um Visitationen geht es da gar nicht?

Edith: Nö.

Richard (schiebt seinen Sessel zurück): Jetzt hol ich aber doch mal das LThK … ich will jetzt wissen, was die zum Thema Visitationen schreiben. (Er geht zum Bücherregal und kommt mit einem Lexikonband wieder. Er blättert, liest, und fängt an zu lachen.)

Helene (nimmt Richard das Lexikon aus der Hand und liest vor): „Entsprechend dem Ziel des Gemeindeaufbaus werden in die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Visitation möglichst viele Gemeindemitglieder einbezogen.“ (Alle brechen in schallendes Gelächter aus.)

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf! Die armen Pfarrkinder, die ihr Bischof da – offensichtlich aus reinem Selbstschutz und damit sie ja nichts von ihm und seiner Visitation erwarten – hinters Licht geführt hat. Die Textstellen, in denen die Bibel Bischöfe erwähnt, sind jedenfalls – zum Nachlesen der Übersetzungen – Apg 20,28 (dort ist aber Christus gemeint); 1. Petrus 2,25; Phil 1,1; 1. Tim 3,2 und Tit 1,7. Das Zitat über den Zweck von Visitationen und dessen Erreichen findet sich im Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg etc.: Herder, Sonderausgabe 2009, Bd. 10, Sp. 819.

Tja! Bloß gut, daß Bischof Neymeyr anläßlich seiner Visitation um Pfingsten herum sich direkt in der Musikhochschule wenigstens hat erklären lassen, warum das Konzept der Umgehung einer Kantorenstelle für Weimar eine Schnapsidee ist. Aber ob die Einwände auf fruchtbaren Boden gefallen sind … ?

Das ging jetzt schnell…

Von gestern abend bis heute vormittag wurde die Homepage des Eichsfeldklinikums im Unterpunkt “Seelsorge” korrigiert. Sehen Sie selbst:

Screenshot Eichsfeldklinikum/Seelsorge am 4. Mai 2022, ca. 11.45 Uhr

Da hat ganz offenbar ‘über Nacht’ jemand unseren Beitrag von gestern abend gelesen und gehandelt; sehr gut!
Hoffen wir, daß dies zügig, systematisch und gründlich geschieht.  

Gereon Lamers 

Eilmeldung: Pfr. Kämpf suspendiert

“Pfarrer Carsten Kämpf, Klinikseelsorger in Heiligenstadt
Seit 30.03.2022 bis auf Weiteres vom priesterlichen Dienst suspendiert”

So steht es, unterzeichnet von “Raimund Beck, Generalvikar” in der aktuellen Ausgabe des “Amtsblatts für das Bistum Erfurt”, ziemlich lapidar unter der Überschrift “Personalnachrichten”.
Sehen Sie selbst:

Ausschnitt aus dem aktuellen Amtsblatt (eigenes Bild)

Wie vor langer Zeit schon einmal (damals ging es um den Papstbesuch und dieselbe Person, die nicht hingehen wollte, hier), haben wir gründlich darüber nachgedacht, ob wir auf PuLa darüber schreiben sollten (in diesem Fall seit Sonntag mittag).

Und obwohl es sich anzunehmenderweise um sehr verschiedene zugrunde liegende Sachverhalte handelt, war auch in diesem Falle klar: Eine solche Nachricht geht alle an, die ganze (Orts-) Kirche und natürlich umso mehr die Pfarrei, in welcher der Betreffende jahrelang gearbeitet hat.
Übrigens erscheint sie ja genau wegen des öffentlichen Interesses im (grundsätzlich) jedem zugänglichen Amtsblatt. 

Das ist eben keine “interne Angelegenheit” und wir hoffen inständig, daß die Unkultur des “Hoffentlich bemerkt es keiner” inzwischen wirklich überwunden ist. Die Anzeichen sind, ehrlich gesagt, gemischt.
Denn wie soll man es, um nur damit heute einmal anzufangen, in dem Zusammenhang bewerten, daß zumindest bis heute auf der Homepage des Eichsfeld-Klinikums keinerlei Hinweis auf die neue Lage zu entdecken ist? Gibt es hier keine berechtigten Interessen, wie diejenigen von Menschen, die in einer schwierigen Lebenssituation nach seelsorglichem Halt verlangen? Ist nur der Klinikbetreiber (der neben dem Landkreis gleich zwei katholische Stiftungen umfaßt…) in der Umsetzung säumig, oder hat man es ihm nicht mitgeteilt? Seit Ende März?!!

Screenshot Eichsfeldklinikum/Seelsorge am 3. Mai 2022, ca. 20.45 Uhr

Wir müssen über die Angelegenheit noch weiter nachdenken, bevor wir ggf. mehr schreiben, werden aber gewiß erneut, wie seit nun 11 Jahren, nicht alles schreiben, was wir wissen, aber nochmal sei es gesagt: Hier handelt es sich schon grundsätzlich und strukturell definitiv nicht um eine Kleinigkeit, die man nonchalant unter den Tisch fallen lassen kann!

Bis dahin nehmen wir schon mal gerne die Bitten um Entschuldigung bei uns entgegen.

Seitens einer völlig einseitig verblendeten Lokalpresse, deren potentiell rufschädigende Elaborate immer noch im Netz stehen.
Seitens derjenigen, die sich in “den Gremien” des tatsächlichen Klerikalismus schuldig gemacht haben, als sie uns beschimpften und herauszudrängen versuchten, um den vermeintlich “armen Pfarrer” zu schützen.
Und nicht zuletzt von denjenigen, die unsere relativ kleinen Kinder in der Kirche deswegen bedrängt haben. 

Die einfache Wahrheit ist nämlich: PuLa hatte immer schon recht (und alle, die damals mit uns gestritten haben).
Seit 2011.
Und irgendwann werden wir dann von den kirchlichen Autoritäten bestätigt.
Zuerst 2015.
Und 2022 wieder.
Leider. 

Gereon Lamers 

 

Sketch des Monats: Der Aprilscherz

Ein Sketch für drei Personen

Wundersdorf/ Oderbruch. In der Küche der Familie Langenfeld. Es schneit. Noch immer ist Wundersdorf ein Reservat für Ungeimpfte. Doch zur Stunde werden rundum die Zäune abgebaut, denn morgen ist überall Schluß mit 2G. Wir haben schließlich den ersten April, und länger als bis zum 2. sollte es dann ja doch (fast) nirgendwo dauern. Nicht mal in Wundersdorf. Deshalb ist auch Silke einfach von Draußen zu Besuch gekommen und sitzt mit Richard bei einer Tasse Tee. 

 

Silke: Sind auch wirklich nette Leute. Aber vor allem freut er sich, daß die Einliegerwohnung durch diese Familie endlich einmal wieder bewohnt ist.

Richard (nickt): Der Tourismus lag ja jetzt wirklich zwei Jahre brach. Und ob das überall so schnell wieder anspringt? Gerade hier, so ein bißchen ab vom Schuß? (Er nippt an seinem Tee.)

Silke: Aber auch ein Zufall, daß die Familie nicht ins Reservat eingewiesen wurde. Eigentlich wohnen ja alle in Wundersdorf. Die meisten Ukrainer sind ja ungeimpft.

Richard (lacht): Ja. Das war ein Schreck für die Regierenden! Und wir haben uns gefreut. Rappelvolle Kirche – fromme Leute – alles gut!

Silke (trinkt einen Schluck Tee): Sag mal – wo ist eigentlich Edith?

Richard (grinst): Mit einem Sack voll Brioches und Popcorn und allem, was sie finden konnte in der Kaufhalle. Sie müßte aber eigentlich längst zurück sein. Dann kann ich mich vermutlich auf was gefaßt machen. (Er lacht.) Gut, daß du da bist.

Silke (wird von Richards Grinsen angesteckt): Wieso? Was ist los?

Richard: Ich hab ihr gesagt, die Regierung kauft Backwaren für zehn Euro die Packung zurück, um das verbackene Sonnenblumenöl wieder zu extrahieren.

Silke (bricht in Gelächter aus): Und das hat sie geglaubt?

Richard (lacht auch): Sie hat zumindest alles zusammengesucht und ist damit losgerannt.

(Draußen im Flur dreht sich der Haustürschlüssel im Schloß und die Wohnungstür geht. Im nächsten Moment steht Edith grinsend in der Küchentür. Sie stemmt die Fäuste in die Seite und schaut Richard mit schmalen Augen an.)

Richard (vorsichtig): April, April!

Edith: Ich hab’s gemerkt! (Sie lacht auf.) Ich bin aber auch so doof und falle drauf rein! Sonnenblumenöl aus Backwaren extrahieren! (Sie faßt sich an die Stirn) Aber grüß dich erstmal, Silke (sie kommt an den Tisch und umarmt ihre Freundin).

Richard (erleichtert): Na? Wo sind die Brioches?

Edith (schaut ihn lächelnd an): Die hab ich ein paar Jugendlichen geschenkt.

Richard (irritiert): Wieso Jugendlichen?

Edith: Die standen am Hauptmarkt rum und haben zugeschaut, wie sie rundum in den Straßen zum Markt hin die zweisprachigen ukrainisch-deutschen Straßenschilder wieder abgenommen haben. Morgen ist ja Schluß, da werden die Flüchtlinge weiter verteilt.

(Sie bringt im Flur ihren Mantel zur Garderobe und kommt zurück in die Küche.)

Richard (jammerig): Und denen hast du sämtliche Brioches gelassen? Das waren ein Haufen und ich hatte mich so darauf gefreut, heute zum Kaffee welche davon zu essen.

Edith: Na, dann lauf und schau, ob du noch welche abbekommst. Es waren ja wirklich viele.

Richard: Das mach ich auch. Und außerdem interessiert mich das mit den zweisprachigen Straßenschildern. (Er steht auf.) Bis gleich! (zu Silke) Falls wir uns nicht mehr sehen: bis die Tage! Gruß an Hermann!

Silke: Mach ich!

(Als die Haustür hinter Richard ins Schloß gefallen ist, packt Edith aus ihrem Rucksack sieben Pakete Osterbrioches aus.)

Edith: Das muß gefeiert werden! Jetzt mach ich mir erstmal einen Kaffee. Möchtest du Brioches?

Silke (verwirrt): Ja, sehr gerne, lecker! Aber ich denke, die hast du an ein paar schaulustige Jugendliche verschenkt?!

Edith: Auf der Straße bei dem Schneegestöber waren keine Jugendlichen. (Sie macht einen kleinen Kuchenteller mit dem Gebäck zurecht.)

Silke: Und die Straßenschilder?

Edith: Wundersdorf hatte nie zweisprachige Straßenschilder. Mal gucken, wie lange Richard sucht.

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Schade eigentlich, denn “Петергаген Шоссе” hätte bestimmt sehr cool ausgesehen. 😉

 

PuLa unterwegs: Böhmisch-katholisch oder Vibes in Weipert

Eine Messe im Alten Ritus im deutsch-tschechischen Grenzgebiet

Zu Laetare haben wir in diesem Jahr eine Freundin in Annaberg im Erzgebirge besucht. Sie bevorzugt die Feier der Heiligen Messe im traditionellen römischen Ritus und geht deshalb sonntags meist nicht in die Kirche ihrer Ortspfarrei.

Pfarrei Maria, Mutter der Kirche; die kleine katholische Kirche Heilig Kreuz in Annaberg/ Erzgebirge (Quelle) Links im Hintergrund ist der Turm der riesigen Hallenkirche St. Anna zu sehen, seit 1539 evangelisch-lutherisch

Denn obwohl die Netzpräsenz der Erzgebirgspfarrei den schönen und lustigen Namen „Erz-katholisch trägt, scheint es dort nicht unbedingt ursprünglich-katholisch zuzugehen. Unsere Freundin fährt also in der Regel in die Kirche mit dem Patrozinium Allerheiligen in Weipert, 15 km südlich über den nächsten Berg und über den Pöhlbach, der an dieser Stelle die Grenze nach Tschechien markiert. Zu Laetare fuhren wir gemeinsam.

Pfarrkirche Allerheiligen Weipert/ Vejprty (eigenes Bild)

Pfarrkirche Allerheiligen Weipert/ Vejprty (eigenes Bild)

Weipert (Vejprty) am Bärenstein ist ein 1945 leer gezogener und zu Sozialismuszeiten nur sparsam wiederbevölkerter Ort im Westböhmischen, dessen Einwohnerzahl heute den Stand von 1830, nämlich knapp 3000 Menschen, erreicht hat. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prosperierte das Städtchen und wuchs mit seinen 50 Fabriken auf eine Zahl zwischen zehn- und elfeinhalbtausend, zu 95% deutschen Einwohnern an – eine Zahl, die bis zum Kriegsbeginn 1939 konstant blieb. 1950 wohnten hier (durch Neuansiedlung tschechischer Familien?) knapp halb so viele Menschen, heute beträgt die Einwohnerzahl wie gesagt nicht einmal mehr ein Drittel – eben wie 1830 wieder knapp 3000 Leute.

Wir konnten den Ort selber nicht erkunden, weil wir die Zeit brauchten, um Annaberg kennen zu lernen. Aber der einstige Reichtum der Stadt und ihrer Einwohner ist auch dem Kirchenbau schon ablesbar. Mit Hilfe des Google Übersetzers kann man einer tschechischen Seite hierzu folgende Informationen entnehmen: 

Die Allerheiligenkirche in Weipert wurde Mitte des 16. Jahrhunderts von Lutheranern in einer ehemaligen Bergbausiedlung erbaut. Bei dem ursprünglichen Gebäude handelte es sich um einen Fachwerkbau, der sich an der Stelle der heutigen Kirche befand. Aussehen und Größe sind unbekannt. Im Jahr 1745 wurde der alte Turm, vermutlich ebenfalls eine Fachwerkkonstruktion, abgerissen. In den Jahren 1746–48 wurde er durch einen gemauerten Turm ersetzt, der noch heute den unteren Teil des Turms der heutigen Kirche bildet.

Das Kirchenschiff wurde 1783-86 so gebaut, daß es der Achse der Haupt-(Süd-)Fassade des Turms folgt. Die jetzige Kirche ist ein einschiffiger Bau mit einem nach Norden ausgerichteten Presbyterium. Das minimal dekorierte Äußere verbirgt einen Raum mit Rokoko-Dekor und Innenausstattung, komplett mit einem Baptisterium aus dem Jahr 1700, das aus dem ursprünglichen Bau übertragen wurde. Die Kirche ist in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben, mit Ausnahme des Turms, der nach dem Brand von 1827 repariert und 1912 von ursprünglich 34,8 auf 53 Meter erhöht wurde.

Die Kirche bildete zusammen mit der Pfarrei im Süden, der Schule im Osten und dem Rathaus im Westen einen Platz, der im 19. Jahrhundert landschaftlich gestaltet wurde. Nach 1945 verfiel sie mit der ganzen Stadt, das Rathaus wurde durch ein Kulturhaus ersetzt. Nach 1990 wurde das Innere der Kirche restauriert und mit notwendigen Arbeiten an der Fassade begonnen.

Die Allerheiligenkirche Weipert also – ein katholisches Gotteshaus über lutherischen Grundmauern, während 15 km nördlich die 1539 erfolgte Inobhutnahme durch die Protestanten der riesigen Hallenkirche St. Anna in Annaberg ihren Hochaltar und die Kanzel erhalten hat. 😉

Blick ins Innere der Annenkirche mit Hochaltar, Kanzel, geschmückten Emporen und herrlichem Deckengewölbe, Annaberg im Erzgebirge (eigenes Bild)

Bei der Beschäftigung mit Reformation und Gegenreformation in Böhmen brummt einem schnell der Kopf. Und dabei ist von Jan Hus noch gar nicht die Rede. Fest steht wohl, daß man sich hier sehr früh vom katholischen Bekenntnis abkehrte. In der benachbarten Bergbausiedlung Conradsgrün, die man noch 1517 nach der Entdeckung ihres reichen Silbervorkommens in Anlehnung an den Namen der Stadt Annaberg in Sankt Joachimsthal umbenannt hatte – 1517 unterstellte man sich also noch gerne dem Patronat der Schutzheiligen der Bergleute und Spitzenklöpplerinnen – setzten die Grafen Schlick schon 1523 die Reformation durch, standen deshalb im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) auf der falschen Seite und verloren ihren Besitz an das Haus Habsburg. Die Habsburger bemühten sich ziemlich genau 200 Jahre lang, grob gesagt von 1575-1775, um die Rekatholisierung ihrer Länder, aber als konkreter Auslöser des 30jährigen Krieges 1618 markiert der sogenannte Zweite Prager Fenstersturz doch eindrücklich den Widerstand der protestantischen böhmischen Stände gegen ihren katholischen Landesherrn. Wie auch immer – die Demographietabelle zur Ortschaft Weipert weist zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eine zu über 90% katholische sudetendeutsche Bevölkerung aus.

Dem Kirchenbau von Allerheiligen hat diese Bevölkerung sich eingeschrieben. 1898 stifteten die Eheleute Rosamunde und Wilhelm Kuhn sowie die Eheleute Theresia und Gustav Fükert dem barocken Bau je ein Fenster, rechterhand, also an der Ostseite des genordeten Kirchenbaus, eine Madonna, linkerhand, an der Westseite einen Christus Sieger.

 

 

Stifterfenster der Ehepaare Kuhn (Christus) und Fükert (Madonna) aus dem Jahr 1898 in Allerheiligen Weipert (eigene Bilder)

In diese Kirche also führte uns unsere Freundin am vergangenen Sonntag, zu Laetare 2022. Seine Predigt stellt Pfarrer Simon Polivka immer der Messe voran, damit im folgenden die Liturgie nicht gestört wird. Das gibt den Menschen, die nur die Predigt hören wollen, die Chance, danach den Gottesdienst zu verlassen. Und den Deutschen, die zu jeder Messe anreisen und kein tschechisch verstehen, gibt es die Chance, ein bißchen später zu kommen. Wir kamen später, aber rechtzeitig zum Asperges, und an der Kirchentür kam uns eine Dame entgegen.

Natürlich strotzte an diesem Sonntag der Altarraum von rosa Tuch. Kasel, Kelchvelum und sonstige Altarbedeckungen waren in zartem Lachs gehalten. Die Altersspanne der eingesetzten Meßdiener betrug schätzungsweise 60 Jahre. Mit Weihrauch wurde nicht gespart, so daß meine nach Ende der Messe aufgenommenen Bilder ein wenig nebelweiß erscheinen. Ein, wie wir gesprächsweise später erfuhren, regelmäßig aus Deutschland anreisender Organist begleitete die Gregorianik und den eingestreuten Gemeindegesang und lieferte auch ein schönes Nachspiel ab.

Die Lesung aus dem Beginn des Johannesevangeliums nach Abschluß der Messe; Pfarrkirche Allerheiligen Weipert, Laetare 2022 (eigenes Bild am 27. März 2022)

Nach der Messe begrüßte der Pfarrer vor der Kirche unsere Freundin und auch uns sehr freundlich in deutscher Sprache und erzählte, daß auch die anderen beiden Priester seiner Pfarrei die Messe im Alten Ritus feiern. Die Diözese, die in etwa so viele Katholiken zählt wie unsere, bricht darüber offenbar nicht zusammen. Auch die Gemeinde in Weipert macht es mit. Die geräumige Kirche war zwar nicht gerade voll – aber für die Gesamteinwohnerzahl von knapp 3.000 Menschen, für Nach-Coronazeiten, und eben auch für die speziellen tschechischen Verhältnisse war die Messe nicht schlecht besucht. Auch aus Deutschland kommen jeden Sonntag einige Familien über die Grenze zum Gottesdienst.

Wir möchten daher unseren Beitrag mit einer ausdrücklichen Reiseempfehlung ins tschechisch-deutsche Grenzgebiet Westböhmens abschließen. Es gibt viel zu entdecken!

 

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Das Stichwort „böhmisch-katholisch“ kenne ich von meiner Lausitzer Mutter, die damit gerne ihren oberschlesischen Vater zitierte. Es funktioniert als Wortspiel, hatte aber damals wohl durchaus einen abwertenden Zungenschlag. Der Titel meines Beitrags oben soll definitiv keinen pejorativen Beigeschmack aufrufen, sondern nur das Wortspiel.

C.B-L.

 

PPS: Was ich gerne ergänzen möchte: Diese Mitfeier der Hl. Messe im Grenzgebiet der Diözesen Pilsen und Leitmeritz (Weipert gehört zu letzterer), sie machte so manches deutlich und bot für mich einen durchaus faszinierenden Ausblick.
Aber vor allem: Es war einfach wunderschön! Schön, sich nicht fremd zu fühlen, obwohl man von den volkssprachlichen Teilen
nichts verstand, schön, sich mit den Menschen dort, die man noch nie gesehen hatte, zuverlässig einig zu wissen, schön, sich in einem Kirchenraum zu befinden, der so ganz unzerstört katholisch ist, schön, die liturgische Farbe des Tages angemessen gewürdigt zu sehen, schön zu sehen, wie zur Meßdienerschar auch ein nicht nur leicht gehandicapter junger Mann gehört (der das Läuten hervorragend gemeistert hat!), schön, als es wieder anging, zu bemerken, der Organist hatte während der Kanonstille sogar das Orgelgebläse ausgemacht…

Hier wurde deutlich, daß es eben nicht nur das Gerede von ein paar “Tradis“ ist, wenn es heißt, “die ‘Alte Messe’ verbindet”. Ja, sie verbindet Menschen unterschiedlicher Nationen, verschiedener Lebensalter, unterschiedlicher Gesundheit und ganz verschiedenen Herkommens (unsere Freundin, nebenbei, ist eine person of color). 

Mir ging, als Wolken von Weihrauch, sonnendurchstrahlt, nicht “irgendwo” hin verschwanden, sondern vor dem Gemälde hinter dem Hochaltar (eine Marienkrönung) hinaufzogen, und absolut zuverlässig das richtige gebetet wurde, das Herz auf: Ja, ich war zuhause – ein Empfinden, das Generationen um Generationen von Katholiken vor uns auch schon kannten und geschildert haben, egal, wohin es sie auf der Welt verschlagen haben mochte! Und in dieser Intensität kenne ich das Gefühl von der Teilnahme an volkssprachlichen Messen im Ausland eben leider nicht.
Wie segensreich, daß der Bischof von Leitmeritz,  Hww. Hr. Jan Baxant, diese Oase, diesen Nukleus der Katholizität, gedeihen läßt, Danke, Exzellenz!

‘Nukleus’, sage ich, denn ich glaube, wir haben dort einen Ausblick in die Zukunft der Kirche (zumindest hier in Europa) getan:
Kleiner, aber ernsthafter.
Ärmer, aber schöner.
Beschränkter, aber universaler.
Zerstreuter, aber ‘wärmer’.

Persönlich bin ich mehr und mehr davon überzeugt, und ‘Weipert’ hat mich erneut darin bestärkt, wir werden nur durch diese Phase hindurch dereinst (sicher nach dem Ende meines irdischen Lebens) auch wieder wachsen können. Und ich sage für mich: So sei es!

Gereon Lamers

„die innere Verkettung der christlichen Heilsgeheimnisse“

25. März

Am Abend des heutigen 25. März weiht Papst Franziskus Rußland und die Ukraine dem Unbefleckten Herzen Mariens. Er vollzieht damit in Rom und sein Abgesandter vollzieht es in Fatima, was die Gottesmutter selber dort gewünscht hat. Die Bischöfe und die Gläubigen in aller Welt hat der Hl. Vater aufgefordert, sich ihm im Gebet anzuschließen und Maria anzuflehen, daß sie der Welt den Frieden erbitten möge. Bischof Ulrich feiert daher in Erfurt die Hl. Messe am heutigen Abend ebenfalls im Rahmen dieser Marienweihe. Er zelebriert dabei gemeinsam mit einem ukrainisch-katholischen Priester, wie sie in Erfurt ja schon seit vielen Jahren ansässig sind und ihrem spezifischen Ritus gemäß Gottesdienste feiern dürfen.
Es ist nichts Neues in der Geschichte des Christentums, daß wichtige Ereignisse der Heilung und Heiligung auf den 25. März terminiert werden. In seinem Buch „Maria. Jungfrau, Mutter, Herrschrin“ (Neuausgabe Köln 2006) widmet Klaus Schreiner ein ganzes Kapitel der Bündelung, die wichtige Stationen des Heilsplanes auf dem 25. März erfahren. Er schreibt:

Die Vorliebe für den 25. März entsprang nicht kalendarischer Kurzweil oder dem Verlangen nach schöner Symmetrie. Dem offenkundigen Bemühen, die großen Heilstaten Gottes an ein und demselben Tag stattfinden zu lassen, lag die Absicht zugrunde, die innere Verkettung der christlichen Heilsgeheimnisse kenntlich und erfahrbar zu machen.
(S. 35)

Mindestens zweimal haben wir deshalb auch auf PuLa bereits über den 25. März als Tag der Verkündigung des Herrn geschrieben (hier und hier).

Als Tag der Inkarnation des Logos ist er wichtiger als Weihnachten, der Tag der Geburt Christi, und fällt doch stets der allen Feiern abgeneigten Fastenzeit, der Stille der Karwoche, dem Proprium der Sonntage in der Fastenzeit oder der geschlossenen Zeit nach Ostern zum Opfer.
Auch heute wird der Bibelkreis von Herz Jesu Weimar, nachdem vor- und nachmittags Heilige Messen zu Mariä Verkündigung stattgefunden haben, abends einen Kreuzweg beten, wie sie jetzt wieder freitags angeboten werden. Aber weil dieser Freitag eben auf Mariä Verkündigung fällt, haben wir einen Marianischen Kreuzweg herausgesucht. Es wird ein Kreuzweg der Karl-Leisner-Jugend sein. Daneben hätten andere Marianische Kreuzwege zur Verfügung gestanden. Sie sind vielfältig wie alle Kreuzwege: Mal gereimt, mal in Prosa, mal kürzer, mal länger, mal konkreter ausformuliert und mal mit mehr Raum für eigene Gedanken.
Beide Anlässe, die Inkarnation und die Passion, betrachten die menschliche Natur Jesu: Man könnte sogar sagen, im Kreuzweg werde die Körperlichkeit des Gottessohnes geradezu inszeniert: wie sehr er unter der Marter physisch leiden muß – aber eben auch physisch leiden kann, weil er eben nicht nur ganz Gott, sondern auch ganz Mensch ist. Die Inkarnation Christi ist die Voraussetzung seiner Passion und Auferstehung. Menschwerdung und Sterben sind untrennbar verknüpft. So erscheint der Jesusknabe denn auch in den Verkündigungsbildern häufig mit einem Kreuz auf der Schulter. In der Inkarnation ist die Passion bereits beschlossen. Klaus Schreiner macht darauf aufmerksam, daß das Verkündigungsbild im linken (also vermutlich nördlichen) Seitenaltar der Kirche St. Ingenuin und Albuin in Saubach/ Südtirol das Kreuz sogar lebensgroß ins Zentrum der Verkündigung stellt. Es steht erhöht zwischen Gabriel und Maria:

Blick ins Innere von St. Ingenuin und Albuin in Saubach (Pfarrei Barbian, Südtirol); im Verkündigungsbild des nördlichen Seitenaltars steht der Kreuzestod zwischen dem Engel und Maria (Bildquelle hier)

Als Gesang zwischen den Stationen werden wir das Lied „Christi Mutter stand mit Schmerzen“ (GL 532) singen, von dem sich im Internet zehn von Heinrich Bone gedichtete Strophen finden. Wir haben drei davon gekürzt und werden sieben Strophen auf je zwei Stationen verteilen. Auch dieses Lied ruft, indem es die Szene am Kreuz ausmalt, dabei aber die Handelnden – oder besser: Leidenden – immer wieder mit „Mutter“ und „Sohn“ tituliert, den Zusammenhang zur Empfängnis ab. Maria als die auserkor‘ne Mutter des Herrn trägt auch in besonderer Weise an der Passion mit. Die wechselnde Darstellung dessen, wie sie ihre Schmerzen erträgt – ob still und gefaßt oder mit vom Leid entstellten Gesicht –, diente durch die Jahrhunderte hindurch vorbildhaft und geradezu als Konzept des erlösenden Mitleids für alle Menschen.

O du Mutter, Brunn der Liebe,
mich erfüll mit gleichem Triebe,
dass ich fühl die Schmerzen dein;
dass mein Herz, im Leid entzündet,
sich mit deiner Lieb verbindet,
um zu lieben Gott allein.
(Heinrich Bone, Stabat mater, Str. 5)

Der Bibelkreis lädt Sie herzlich zur Kreuzwegandacht um 18.30 Uhr in die Pfarrkirche ein!

Cornelie Becker-Lamers

Das verschwundene Kreuz

Neues zur Fastenzeit (2/2)
(ungeposteter Originaltext aus dem Jahr 2020)

Rituale haben es schwer in Herz Jesu Weimar. Wenn man jetzt mal vom gründonnerstäglichen eigenhändigen Eintauchen der Hostie in den Wein durch die Gläubigen selber absieht. Dieser liturgische Mißbrauch („Es ist dem Kommunikanten nicht erlaubt, selbst die Hostie in den Kelch einzutauchen oder die eingetauchte Hostie mit der Hand zu empfangen“ – Redemptionis Sacramentum Nr. 104) hält sich zäh.

Aber wenn man zur eigenen Andacht gewöhnt ist, sich bestimmten Statuen und Figuren zuzuwenden, muß man immer wieder Irritationen verkraften. So wie im Frühjahr 2018, als die Marienstatue plötzlich von ihrer Konsole verschwand und man von vier eigentlich an den Informationsfluß angeschlossenen Befragten vier verschiedene Antworten über den mutmaßlichen Verbleib erhielt. Obwohl klar war, daß die Statue vermißt wird und Nachfragen also berechtigt waren, gab es keine Antwort. Vielmehr machte ein lustiger Einfall deutlich, wie in unserer Pfarrei mit Fragen, auf die man aus irgendeinem Grund nicht antworten will, umgegangen wird:

Als sich die Nachfragen offenbar häuften, speiste man die Gläubigen mit einem Witz ab: Statt der Madonna stand dieses Schild an ihrem neuen Platz (eigenes Bild am 20. April 2018)

Mit dem Hinweis auf eine Kur wird man die Frage nach dem Verbleib des Kruzifixes über dem Altar nicht beantworten wollen. Womit aber dann? Seit der Morgenmesse zu Aschermittwoch nämlich hängt ein Fastentuch nicht nur vor, sondern anstelle des Kreuzes über dem Altar von Herz Jesu Weimar.

Fastentuch über dem Altar in Herz Jesu Weimar (eigenes Bild am 9.März 2020)

Zu einzelnen Bildmotiven werden an den Fastensonntagen nun kurze Meditationen zu Ende jeder Messe verlesen. Da geht es um das Blau, das dann für unseren Planeten, aber auch für das Universum (?!) steht, oder um das Gold als Licht, das uns umkreist und verletzt ist (der Ring ist nämlich in blutroten Spuren eingerissen.) Das Tuch erinnerte mich spontan an Objekte und Bilder von Kuno Vollet, zu dessen Goldarbeiten in der Ausstellung „Universen lebendiger Stille“ in Jena ich im November 2014 die Eröffnungsrede gehalten habe. Vollet verkaufte sich damals in Jena wie geschnitten Brot – an Menschen, die sich ein neues Haus im Bauhausstil hatten bauen lassen und etwas Schönes für ihr lichtdurchflutetes Treppenhaus suchten. Ob diese Käufer ihrerseits die träumerisch-assoziativ zu betrachtenden goldenen Kreise Kuno Vollets zeitweise gegen die Konkretheit eines leidenden Christus am Kreuz eintauschen würden?

Kruzifix und Bußzeit

Das Kreuz wird nach einer „Kann-Regel“ zwischen dem fünften Fastensonntag und dem Karfreitag verhüllt. Die Idee stammt laut „Tag des Herrn“ aus der Zeit, in der edelsteingeschmückte Triumphkreuze den Sieg Christi über den Tod symbolisierten. Dieser Siegesgedanke sollte zu Ende der Fastenzeit nicht das Gedenken an die Passion überdecken. Die Kreuze wurden mit lilafarbenem Tuch verhängt – eine Geste, die man auch für Kruzifixe mit dem leidenden Christus beibehielt. Lilafarbenes Tuch, wenn die das Goldkreuz verhängenden Tücher nicht in der Passionszeit Szenen aus dem Leiden und Sterben Jesu zeigten, um die Siegesfreude hinter dem Gedenken an das Leid zurückzudrängen.

Mit unserem Fastentuch geschieht nun das Gegenteil. Das Kruzifix, das uns das ganze Jahr über dem Anblick des leidenden Christus aussetzt, wird nicht einmal durch eines der in den 70er Jahren aufkommenden Hungertücher, sondern durch ein ebenso abstraktes wie harmonisches und farbenschönes Bild  nicht nur verhüllt, sondern ersetzt. Wie gesagt: Rituale haben es schwer in Herz Jesu Weimar. Die Frage wäre tatsächlich, ob sich in unserer altar-, statuen- und wandbemalungsreduzierten Kirche nicht ein anderer Ort fände, um solche Tücher für die Fastenzeit aufzuhängen? Wenn jährlich die Maria dem Krippenaufbau weichen muß – wäre nicht das Gemälde Johannes des Täufers in der Fastenzeit eher entbehrlich als ausgerechnet das Kruzifix über dem Altar?

Blick in den Kirchenraum von Herz Jesu Weimar vom südlichen Eingang aus. Gut zu erkennen die freien, baulich geradezu gerahmten Wandflächen im nördlichen Querarm, die auf der Südseite ihre symmetrische Entsprechung haben (eigenes Bild am 9. März 2020).

Rituale haben es schwer in Herz Jesu Weimar. Eilfertig folgte man in Teilen dem sehr frühzeitigen Rat der DBK, auf Weihwasser und Friedensgruß, Mundkommunion und das gemeinsamen Trinken von Priestern und Kommunionhelfern aus dem Kelch zu verzichten. In Teilen heißt: Gemeinsam getrunken wird noch, aber die Weihwasserbecken sind leer. Um Weimar herum sieht man das in puncto Weihwasser bisher noch anders. Was den Friedensgruß betrifft, so gibt es viele gute Gründe, ihn an der liturgischen Stelle direkt vor dem Agnus Dei zu begrenzen. Ob die Gefahr einer viralen Epidemie dazugehört, muß jeder für sich entscheiden. (Zugegebenermaßen sitzt in unseren Kirchen derzeit verstärkt die Risikogruppe, nämlich Menschen jenseits der 60.) Aber daß der Friedensgruß nur mit Handgeben funktioniert, ist definitiv Unsinn. Was hindert uns, uns weiterhin das „Friede sei mit dir“ zu wünschen, es auszusprechen – ob ich den Nachbarn daraufhin die Hand gebe oder nicht. Die gegenseitigen guten Wünsche sollten wir in aller Gefahr und gesundheitlichen Gefährdung auf jeden Fall beibehalten!

In diesem Sinne wünscht PuLa nicht ohne die ausdrückliche Erinnerung an die christliche Heilsbotschaft vom ewigen Leben allen Lesern eine gute Gesundheit!

Cornelie Becker-Lamers

Es gilt der gebrochene Fuß

Plaudereien zum Beginn der Fastenzeit (1/2)

Heute ist Aschermittwoch. Das erkennt man daran, daß unser Kruzifix wieder von einem Fastentuch im Altarraum abgelöst worden ist. Äh – ja … nein, nicht ergänzt, sondern abgelöst. Es ist dasselbe Tuch, das auch im Vorjahr hing: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum – Die Kraft des Wandels“ heißt es und wurde von Lilian Moreno Sánchez im Auftrag von Misereor hergestellt. So sieht es aus:

 

Fastenzeit 2022 in Herz Jesu Weimar (eigene Bilder)

Zur Erläuterung des Projekts erklärt die Internetseite von Misereor, daß Ausgangspunkt und Ideengeberin des Motivs eine Röntgenaufnahme gewesen sei, die den gebrochenen Fuß eines chilenischen Demonstranten zeigte. Er sei „bei Demonstrationen gegen soziale Ungleichheit durch die Staatsgewalt“ in Santiago de Chile verletzt worden.

In den letzten Wochen und Monaten haben wir durch wiederholte Zeitungs- … nein, Berichte waren die gerne halbseitigen Dossiers eigentlich nicht – durch wiederholte Stellungnahmen von Journalisten gelernt, daß es, auch wenn alles friedlich und mit Kerzen und Luftballons verläuft, gute und böse Kundgebungen gibt. Auch wenn es in allen zur Rede stehenden Fällen erkennbar Familien aus der Mitte der Gesellschaft sind, die einfach wollen, daß ihre Kinder unversehrt aufwachsen, ein normales Leben leben und ihre Zukunft planen können, sieht man offenbar immer sofort, ob man die ganze Sache verteufeln oder gutheißen muß. Also die Journalisten sehen das immer sofort. Und man muß nur ihrer Darstellung folgen, dann weiß man es auch. So eine Pressearbeit lobe ich mir! Endlich Sicherheit im Meinungsspektrum! #Komplexitätsreduktion.

Wenn ich das dementsprechend richtig sehe, sind gute Demonstrationen eigentlich schon einmal sowieso alles, was in fremden Ländern gegen die dortige korrupte und/oder die Grundrechte der Bürger mit Füßen tretende Staatsgewalt gerichtet ist. (Sogar wenn die Demonstrierenden sich über den Telegram-Kanal verabreden). Da ist man in der Beurteilung jedenfalls auf der richtigen Seite. Die Demonstration damals in Chile war also bestimmt eine gute Demonstration und man kann auf einer Verletzung, die sich dort jemand zugezogen hat, ein Hungertuch für Misereor aufbauen.

Zumal die Künstlerin es ja nicht bei der Röntgenaufnahme belassen hat. Als „Zeichen der Heilung“ hat sie „goldene Nähte und Blumen als Zeichen der Solidarität und Liebe“ auf den Stoff gestickt, heißt es auf der o.g. Internetseite. Das Material stellte ein Krankenhaus und ein Kloster, nämlich das Kloster Beuerberg nahe München, zur Verfügung. Zudem wurde der auf Keilrahmen aufgezogene Stoff mit Leinöl bearbeitet. Das verweist auf die Frau, die Jesus bei seinem Besuch im Hause des Pharisäers die Füße gesalbt hat (Lk 7,37ff). Außerdem kann man natürlich bei „Fuß“ auch immer die Fußwaschung des Herrn an seinen Jüngern assoziieren (Joh 13,5ff ).

Also alles in allem ein interessantes und vielsagendes Hungertuch, das wir da aus dem Vorjahr nachnutzen. Leider gefällt es mir trotzdem nicht so gut wie dasjenige aus dem Jahr 2020. Das war so schön und zugleich war das Brimborium, das darum gemacht wurde, so irre, daß ich es schon fotografiert hatte, um hier auf PuLa darüber zu schreiben. Der Text wurde auch fertig. Aber dann schlossen die Kirchen und wir haben ihn vor lauter Schreck nicht publiziert. Er sei darum im Zuge der diesjährigen Fastenzeit veröffentlicht.

Das wird morgen geschehen. Jetzt erzählen wir noch ein bißchen von heute weiter.

Im Gegensatz zu den Ankündigungen gab es auch in diesem Jahr kein Aschekreuz auf die Stirn, sondern es wurde nur etwas Asche aufs Haupt gestreut. Zu dieser Praxis haben wir ja im vergangenen Jahr schon eine Geschichte erzählt, die sich bei unseren Freunden in Wundersdorf zugetragen hat, hier.

Es war also wieder einmal Kreativität gefragt. Unser Do-it-yourself-Aschekreuz, das wir uns nach dem Meßbesuch auf die Stirn gemalt haben, bestand aus Holzkohlenasche aus dem seit dem letzten Sommer nicht ausgeleerten Gartengrill und Weihwasser, das man in diesen Zeiten ja immer zuhause parat haben muß.

Tja – und so bleibt uns nun nur noch, die Fastenzeit einzuhalten, beginnend mit den Quatembertagen übermorgen und am Samstag. Während im Internet die Tips ausgetauscht werden, wie man die sechs Wochen (eigentlich sind es ja sieben?!) durchstehen kann – die Vorschläge drehen sich dabei hauptsächlich um Gedanken an die eigene Traumfigur –, müssen wir uns zumindest darüber, nämlich um den Sinn der Fastenzeit, ausnahmsweise einmal keine Gedanken machen 😉 .

 

Cornelie Becker-Lamers

 

Fortsetzung folgt morgen

PuLa-reloaded: 239. […] Mit Anmerkungen zu Kirchenaustritten, Medien und bischöflichen Äußerungen

Allerhöchste Zeit, die Reihe “PuLa-Reloaded”, die im Advent, zur Weihnachtszeit und dann jetzt, weil, ja, weil soviel zu schreiben war!, etwas zu kurz gekommen ist, wieder aufleben zu lassen! Bloß gut, daß wir auch über den Ablauf des ‘Jubeljahrs’ 🙂 zum 10-jährigen im März hinaus noch jede Menge Stoff haben… 😉

Heute haben wir einen relativ jungen Text von Cornelie für Sie, der sich Ende Juli 2019 schon mit “Zahlen zum Kirchenaustritt” beschäftigte (hier), ein Thema, das ja gerade wieder ungeheuer Konjunktur hat, nach der Veröffentlichung des sog. “Münchner Mißbrauchsgutachtens”.

Zu diesem Gutachten, und dem, was es tatsächlich belegen kann, gibt es viel zu sagen und es wird auch richtigerweise darüber geredet und geschrieben (dazu vielleicht später mehr), aber die Äußerungen, aus dem Raum der Kirche in unserem Bistum, die sind auf jeden Fall ein Thema für PuLa, ebenso, wie das, was medial aus unserem mitteldeutschen und näherhin Thüringer Raum dazu so verlautet.

Beides kommt nun zusammen in einem Radiobeitrag, der am vergangenen Sonntag, 13. Februar 2022, um 8:15 Uhr auf MDR-Kultur lief: „Katholische Kirche: Mitglieder denken an Austritt“. Ein langjähriger Freund hat uns darauf aufmerksam gemacht (Danke!) und gleich auch noch die Audio-Datei besorgt, die wir allerdings leider nicht veröffentlichen dürfen. Aber, wie gesagt, sie liegt uns vor.

In diesem etwa 4 Minuten langen Beitrag verarbeitet Samira Wischerhoff, eine junge Journalistin aus dem MDR-Studio Weimar, erstens Zitate aus einem Interview mit Bischof  Neymeyr und hat zweitens nach deren Ende mit Besuchern der Hl. Messe in unserer Pfarrkirche gesprochen (mit einer Besucherin ganz besonders, aber dazu gleich mehr).
Sehr ordentlich gemacht, mit abwechselnden O-Tönen, Soundschnipseln aus dem Hintergrund (Glocken!) und sinnvoll plazierten Teilen des, bzw. der Interviews.

Gerahmt von einer An- und ganz kurzen Abmoderation des Kollegen, der durch die Sendung führte.

Nur, dieser “Rahmen” um den Beitrag, er beinhaltet eben auch das “Framing”: “Will ich eigentlich noch dieser Kirche angehören?, heißt es mit sonorem Tremolo und der im Raum stehende Vorwurf der “Vertuschung” gegenüber Papst Benedikt darf natürlich nicht fehlen, deswegen habe sich der Bischof mit einem Brief an die Angehörigen des Bistums Erfurt gewandt, worauf PuLa ja bereits einen Antwortbrief geschrieben hat (hier).

Bevor wir nun dazu kommen, warum dieser Radiobeitrag aus dem Februar 2022 so gut zu einem Text paßt, der schon gut zweieinhalb Jahre alt ist, aber zwei Bemerkungen am Rande:

Ungefähr zu Minute 2.40 wird eine “Sprecherin der Pfarrei Herz Jesu in Weimar” vorgestellt und ich ‘rieb mir die Ohren’, wenn ich so sagen darf, denn so etwas gibt es natürlich gar nicht. Tatsächlich handelte es sich um die Vorsitzende des “Kirchortrats” Weimar, die da zu Wort kam (womit, darüber will ich schweigen), aber man kann es wohl einer Journalistin von offenbar protestantischer Prägung kaum übelnehmen, daß sie von diesem skurrilen Gremium, noch nichts gehört hat. ‘Da haben Sie nichts verpaßt’, möchte ich hinzufügen. 🙂

Ernster finde ich da schon, was Frau Wischerhoff ab Minute 1.30 berichtet: “Daß Papst Benedikt für sein Verhalten als Münchner Erzbischof inzwischen um Entschuldigung gebeten hat, hält Bischof Neymeyr für ausreichend”. Aha.
Das habe ich nur leider auf der Seite des Bistums nicht finden können, dort steht nach wie vor der “Brief” vom 28. Januar mit dem, wie beileibe nicht nur ich finde, eigentümlichen Zungenschlag. Sicher, es gibt deutsche Bischöfe, die reden auch nachdem alle Fakten auf dem Tisch liegen davon, der Papa em. spiele hier eine “sehr unglückliche Rolle” und verhalte sich “unverantwortlich”, + Gebhard Fürst von Rottenburg-Stuttgart, um genau zu sein, aber das sollte ja nun wahrhaftig kein Maßstab sein, oder? Schade, sehr schade, daß Bischof Neymeyr hier die Chance zu einer öffentlich wahrnehmbaren Selbstkorrektur nicht genutzt hat, aber danke an Frau Wischerhoff und den MDR, die uns diesen Einblick ermöglichen!

Aber wirklich geradezu skurril wird es, wenn man die Reaktionen der “normalen”, namentlich nicht genannten, Meßbesucher mit dem Framing vergleicht, das der Beitrag insgesamt betreibt, denn: Niemand redet davon, auch nur in Erwägung zu ziehen, der Kirche den Rücken zuzukehren!
Sollte man ja auch nicht, wenn man gerade die allerheiligste Eucharistie mitfeiern durfte und vielleicht gerade die Kommunion empfangen hat und damit gerade wieder sozusagen “frisch” zum ‘Leib Christi’ wurde, und der ist nun einmal die Kirche.

Aber wir kennen schon Menschen aus Weimar, die aus der Kirche “ausgetreten” sind, und wir wissen um ihre ganz individuellen und sehr, sehr “ortsnahen” Gründe dafür, von daher, Frau Wischerhoff, sei auch Ihnen dieses Reload zur Lektüre empfohlen:

Gereon Lamers

 

239. Eine Zahl, die gute Laune macht

               Rechenspiele und ein kleiner Erfahrungsbericht
zum Thema Kirchenaustritte
Von der Suggestivkraft hoher Zahlen

„Typisch, daß dir sowas auffällt“, sagt Gereon, als ich über den Zahlenreihen in Fabian Klaus‘ TLZ-Artikel „Eine Zahl, die weh tut“ zum Thema Kirchenaustritte zu stutzen beginne.

Er hat Recht: Es ist typisch. Zahlen mag ich gern. Die fallen mir immer auf und ich kann sie mir gut merken. Und ich weiß, daß man sie gerne nennt, um damit etwas auszusagen. Und daß man dieselben Zahlen auch für ganz andere Aussagen nutzen kann.

Nachdem Fabian Klaus im Kommentar auf S. 1 der Thüringischen Landeszeitung vom 20. Juli 2019 nur die Austritte aus der katholischen Kirche thematisiert hat, suggerieren die Untertitel zweier Artikel auf S. 2 derselben Ausgabe durch ihren unterschiedlichen Referenzpunkt mehr Austritte im katholischen als im evangelischen Bereich: Genannt werden die über 200.000 deutschlandweiten Austritte katholischerseits und die 13.625 Austritte der Protestanten Thüringens.

Einer umfassenderen Auflistung entnimmt man bei den Protestanten ein deutschlandweites Minus von 395.000 Mitgliedern (davon rund 220.000 Austritte), bei den Katholiken entsprechend ein Minus von 309.000 Mitgliedern (davon knapp 216.000 Austritte). Schlimm genug – aber jede Argumentation und jede Suche nach kausalen Zusammenhängen muß im Blick behalten, daß nicht nur der katholischen Kirche die Leute davonlaufen.

Wirklich verwirrt hat mich in der TLZ das Operieren mit Austrittszahlen in Überschrift und Text, mit Mitgliederzahlen hingegen in der Tabelle. Da spricht der Artikel von 1.371 Austritten im Jahr 2014, die Zahlentabelle aber ergibt eine Differenz von lediglich 239 Mitgliedern, die das Bistum im Jahr 2015 weniger verzeichnet als 2014. Daher sind auch hier die genauen Austrittszahlen hilfreich, man findet sie, ergänzt durch die Zahlen zu Gesamtbevölkerung und prozentualem Katholikenanteil in Thüringen, hier.

Dort wird nachvollziehbar, daß Fabian Klaus absolut Recht hat, wenn er die Zahl der Austritte im Jahr 2014 als statistischen Ausreißer beschreibt: Lagen die Austrittszahlen seit 2000 im mittleren dreistelligen Bereich (seit 2015 im hohen dreistelligen Bereich), so sind es 2014 1.371, also π mal Daumen das Doppelte.

Wie kommt in einem solchen Jahr der Schwund von – in diesem Fall kann man ruhig sagen: lediglich – 239 Menschen zustande? Wer gleicht die Differenz von 1.132 Mitgliedern aus – haben wir an den Zahlen aus dem vorigen Jahr (s.o.) doch zudem festgestellt, daß die Zahl der Austritte durch andere Faktoren – vermutlich bspw. den Überschuß der Sterbefälle gegenüber den Taufzahlen – noch einmal deutlich erhöht wird? Im konkreten Fall weist die Statistik für Thüringen im Jahr 2014 etwa 27.000 Sterbefälle aus – bei 7% Katholiken ergibt das eine zu erwartende Zahl verstorbener Mitglieder von immerhin 1.890 Menschen. Zeigt die Zahl von nur 239 weniger Mitgliedern bei 1.371 Austritten und den statistisch zu erwartenden 1.890 Verstorbenen, also bei einem Schwund von rechnerisch 3.261 Menschen, den unerwarteten ‚run‘ auf die Kirche in Gestalt von über 3.000 (Wieder-) Eintritten? Das wäre phänomenal und Bischof Tebartz van Elst wäre in all diesen Diskussionen um überregionale Verantwortung für ein wachsendes Desinteresse an Kirche final aus dem Schneider! Oder gab es eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Taufen? Ebenso unwahrscheinlich, denn die Thüringer Geburtenrate (vgl. o.g. Statistik) summiert für 2014 keineswegs untypisch viele Babies auf.

Was hat das zu bedeuten? Wäre das magische Verhältnis von 3.261 zu 239 Menschen wohl gar ein Ausweis der hohen Relevanz der Zugezogenen für unsere Pfarreien und das Leben in den Gemeinden? Das scheint mir über die Maßen wahrscheinlich und ich möchte die Zahl gerne für diesen Nachweis nutzen. Ich sehe in der 239 daher eine Zahl, die mir ausgesprochen gute Laune macht!

„ … läßt er dann nicht die neunundneunzig auf den Bergen zurück“?

(Mt 18, 12)

Aber übrigens – was sollen die großen Zahlen? Lernen wir nicht im Gleichnis vom verlorenen Schaf, daß es auf jede und jeden Einzelnen von uns ankommt? Und ist es nicht ärgerlich, wie sich die Verantwortlichen zum Verständnis dieser Zahlen – denn bei Kirchenaustritten wird vorsichtshalber nicht nach den Gründen gefragt – nur allzu gerne wohlfeile Antworten zurechtzulegen scheinen?

Deshalb will ich von einigen Einzelfällen berichten, bei denen ich die Gründe der Abkehr von unserer Gemeinde und zum Teil zuletzt auch von der katholischen Kirche kenne.

Mein erstes einschneidendes Erlebnis datiert aus dem Jahr 2008, als eine Bekannte statt Herz Jesu Weimar lieber einer evangelischen Pfarrei im Weimarer Land zugehören und daher austreten wollte. ‚Wollte‘ ist schon falsch, denn sie erzählte mir, daß sie geweint habe, als sie telefonisch die notwendigen Unterlagen in unserem Pfarrbüro beantragte: Ihr war deutlich geworden, daß sie mit dem Austritt einen Teil ihres Lebens abschnitt. Warum unternahm sie den Schritt dennoch? Eine schwere Krankheit von Ehemann und Tochter hatte die Jahre zuvor bestimmt – Jahre, in denen sie sich (obwohl sogar hier einheimisch!) mit ihrer seelischen Belastung in Herz Jesu Weimar nicht aufgefangen, in besagter anderen Pfarrei aber getröstet fühlte. Daher nahm sie in Kauf, daß ihrer Biographie in gewisser Weise Gewalt angetan wurde. Ich erzählte beim Gemeindefest unserem damaligen Ortsgeistlichen davon. „Gehen Sie nochmal hin!“ beschwor ich ihn. „Sie ist noch nicht weg. Sie möchte nicht konvertieren. Sie leidet unter dem Gedanken. Und um ihre drei Kinder geht es doch auch.“ – „Wandernde soll man nicht aufhalten“, antwortete mir der Pfarrer, zog eine launige Schnute und zuckte die Schultern und seine Vertraute, die dabei stand, begann über die Familie der betreffenden Frau herzuziehen.

Das zweite einschneidende Erlebnis ist die Durchsetzung des doppelstündigen Religionsunterrichts für die Weimarer katholischen Grundschüler. Die ist komplett meine Initiative, die ich zwar auf ausdrückliche Bitte des damaligen Pfarrers, zuletzt aber erwiesenermaßen gegen den Widerstand von hiesigem Gemeindereferent und besagtem Pfarrer 2010 erreicht habe. Nun bedeutet ein einstündiger Religionsunterricht nicht zwangsläufig einen Kirchenaustritt. Aber Sorge für die Kinder und den Nachwuchs der Pfarrei sieht dennoch anders aus als eine Intrige gegen die gesetzlich vorgesehene religiöse Unterweisung.

Eine einzige Frau, die ich als Mutter etwa gleichaltriger Kinder aus dem katholischen Kindergarten kenne, hat mir als Grund für ihren Austritt aus der katholischen und Eintritt in die evangelische Kirche (unter Mitnahme ihrer Kinder) den Mißbrauchsskandal von 2010 genannt. 2010 ging das Thema, in Folge der Enthüllungen in der Odenwaldschule, ja schon einmal auch in Bezug auf die katholische Kirche durch die Presse und es widerte sie an. Aber das ist wie gesagt die einzige, die mir diesen Grund genannt hat.

Ein Ehepaar kenne ich, die sind wegen des Osterpfarrbriefs 2012 (vgl. hier und hier) und der darin enthaltenen Verleumdungen gegen uns aus der Kirche ausgetreten. Sie sagten: „Was auch immer geschehen ist, so etwas kann man nicht schreiben.“ Zur Vertreibung weiterer Ehrenamtler, die enttäuscht wieder wegzogen, konvertierten oder sich zunächst einfach von der Pfarrei abkehrten, ist der Text „Ich hatte eine Farm in Afrika“ erhellend.

Der Ehrenamtler, der zweifellos der Gemeinde das größte Geschenk gemacht hat, wurde so buchstäblich krank geärgert, daß seine Kinder sich ebenfalls vollständig von der Kirche abgewendet haben. War die Familie vor 10 Jahren bei den Lektoren, im PGR, als Ministrantinnen engagiert in Ehrenämtern der Gemeinde tätig, so haben sich die beiden jüngsten Kinder zuletzt nicht einmal mehr firmen lassen. Die Jugendlichen sind m.W. noch nicht ausgetreten. Aber ihnen wurde eine Entfremdung von der Kirche aufgezwungen, durch die es zum Austritt dann nur noch den von Pressesprecher Weidemann erwähnten „Tropfen“ braucht, „der das Faß zum Überlaufen bringt.“ Einer der erwähnten Jugendlichen wäre jetzt, 2019, zur Firmung an der Reihe: Die Geschichte ist nicht Vergangenheit. Sie ist – was Menschen beispielsweise im Kirchortrat partout nicht wahrhaben wollen und mich für die Sorge um diese Familie beschimpfen – nach wie vor die Gegenwart unserer Pfarrei.

Sie sehen: Die überwältigende Mehrzahl an Distanzierungen von unserer Pfarrei und/oder der Kirche hing und hängt nicht mit dem Finanzbedarf einzelner Bischöfe zusammen. Sie hing und hängt nicht einmal mit dem Mißbrauchsskandal zusammen. Sie resultiert einzig und allein aus ganz persönlichen Erfahrungen mangelnder Seelsorge im sozialen Nahraum der eigenen Pfarrei. Das vielbeschworene „Ende der Volkskirche“ ist keine Naturkatastrophe. Es ist, wo man es wahrnimmt, ganz überwiegend hausgemacht.

Und Weimar? Das pastorale Konzept „So lange ignorieren und unverschämt behandeln, bis die Ehrenamtlichen freiwillig die Segel streichen oder auch gerne ganz wegbleiben“ ist im September 2015 mit Amtsantritt des neuen Pfarrers durch die Integration derjenigen, derer er zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch habhaft werden konnte (was nicht mehr viele der einst Aktiven waren), abgelöst worden.

Ein Aufatmen ging durch die Pfarrei. Etliche Gruppen firmierten sich in der Hoffnung auf die Einsicht der Verantwortlichen, daß es nicht um den Job eines „Pfarrteams“ geht, sondern um das Leben der Pfarrei. Fehlende Dialogbereitschaft, die Entwicklung der musikalischen Arbeit, aber auch generell der Kinder- und Jugendseelsorge läßt befürchten, daß  Grundzüge der alten Verhältnisse seit dem Frühjahr 2016  zurückgekehrt sind.

Sollte dem nicht so sein, sollte man von offizieller Seite nicht zögern, das immer mal wieder explizit zu formulieren und durch die bewußte Förderung der wenigen noch bestehenden Gruppen deutlich zu machen.

Cornelie Becker-Lamers