Der Herr hat doch offenbar ein sehr lebhaftes Gefühl für die Heiligkeit des Hauses Seines Vaters gehabt. Und was dem Tempel als „Haus Gottes“ recht wahr, ist doch wohl den katholischen Kirchenraum als „Haus Gottes und Christi“ erst recht billig — nicht als abzustossendes ,levitisches” Relikt, sondern als spontaner Ausdruck der Anbetung, der ehrfürchtigen Liebe und liebenden Ehrfurcht. – Ach, ich weiss, Sie wollen wie Karl Rahner dem, der den Mantel verlangt, noch den Rock nachwerfen und statt der zwei Meilen vier mitgehen, nur um keinen zu entmutigen – das ist schön und ergreifend, aber mir scheint es halt leider doch falsch, denn ich glaube einfach, dass auch der heutige Mensch sich nur auf das stützen kann, was ihm widersteht, und dass Reinhold Schneider richtig gesehen hat, wenn er immer wiederholt, dass die „Welt“ unsern Widerspruch erwartet und heimlich ersehnt und nicht bloss, dass wir ihre Irrtümer entschuldigen und ihre Schwächen rechtfertigen und kopieren und so. (14.6.1968)
Einer der seltsamsten und bedenklichsten Züge der Gegenwart ist mir ja die Wut gegen das „Sakrale“ in allen Bereichen. Kein Missbrauch kann diese Wut wirklich erklären, ich spüre da so sehr die dämonische Offensive dahinter. Rehabilitierung des „Profanen“ gewiss, wo das Wort nur negativ, gar feindselig gebraucht wurde – aber gerade das ist ja schon Missverständnis. Sakrales und Profanes können, sollen doch in gegenseitiger Ehrfurcht und Liebe nebeneinander, miteinander bestehen, aber als zweierlei – warum mit Gewalt den Unterschied verwischen und ableugnen wollen? Es darf nicht nur verwechselt werden mit Gut und Böse — aber die Gegenwart verträgt eben schon die Begriffe Hoch und Nieder nicht mehr, betrachtet sie – auch das ist ja ein Charakteristikum!! schon an sich als „undemokratisch“, kann sie nur von unten her, in der Haltung des „Beleidigtseins“ verstehen.. Aber warum MUSS man denn das? Es ist doch herrlich, wenn es, dass es Grösseres, Höheres, Schöneres gibt als man selber, dass man in einer gestuften und vielfarbenen Welt leben darf – warum immer deutscher Eintopf? Der Priester ist, für mich, der hauptamtlich “die Sache Gottes“ zu verwalten hat – sowohl in der Kirche als auch “vor der Welt“ – gerade das Andre, gerade das Sich-Abhebende, gerade das Überstrahlende – und ALS alle angehend; der uns keinen Augenblick vergessen lässt, dass es dieses Andre gibt, dass es das Wichtigste und das Wesentliche ist, dass es alles, alles andre sowohl überragt als durchdringt, entschlüsselt und interpretiert. (7.3.1968)
Ich werde ja auch nicht an der Liturgie-Reform irre durch ihre tägliche Karikatur, die wir schmerzlich-wütend herunterschlucken müssen — z.B. die, wie ich vermute, noch keineswegs auch nur legitime „Abschaffung“ aller Toten-Liturgie – – dass für eine Verstorbene nicht einmal an ihrem Begräbnistag das Requiem gelesen wird ich meine ja nicht schwarz, von mir aus lila oder sonst was, und das Dies Irae kann ja ruhig weglassen, wem es zu mittelalterlich ist. Aber dass den Angehörigen – und ich finde in gewissem Sinn sogar: dem Toten selbst, soweit seine Angehörigen seine Persona noch bewahren – diese wunderschönen, auf den Toten, auf sein Schicksal bezogenen Texte mit der Auferstehungsperikope und der herrlichen Präfation einfach vorenthalten werden, und der Priester statt dessen in Rot eine Heilig-Geist-Messe liest und bloss als dritte Oration und ohne Namen sogar (,,Deine Dienerin“, weil er offenbar zu faul war, nur nach ihrem Vornamen zu fragen) die Verstorbene erwähnt — das finde ich für die Zurückbleibenden geradezu beleidigend lieblos, herzlos. MUSS denn das sein, bloss um sich „modern“ zu präsentieren? (15.2.1968)
Ein Sketch zum Vierten Advent für zwei Schafe, zwei Lämmchen, zehn bis elf Personen und beliebig viele Statisten unter den Schafen und unter den Menschen
Wundersdorf, die allseits bekannte Schafweide. Sie ist bei der Schaffung des Reservats für Ungeimpfte, zu dem man Wundersdorf und Umland ja gemacht hat, zwar natürlich innerhalb der Grenzen, aber direkt am Zaun zum Draußen zu liegen gekommen. Dennoch herrscht – Sie erraten es? Genau: reges Treiben. Wie immer. Aber auch die ganze Gemeinde scheint auf den Füßen zu sein. Himmel und Menschen drängen sich am Gatter und möchten auf die Weide. Die Schafe haben alle Hufe voll zu tun, um des Andrangs Herr zu werden.
Unterhalb der Tanne ist ein großes Podest aufgebaut, auf dem sich schon allerlei Tiere tummeln. Auf der Weide sieht man schon Menschen auf Klappstühlen und Sitzkissen, Picknickdecken, Isomatten und Holzklötzen sitzen. Hier und da sind kleine freie Flächen, auf denen Papier liegt … hm! Sieht aus wie Liedzettel … Am Zaun lehnen vier oder fünf Jugendliche und schauen von der Parallelwelt im Draußen aus zu.
Also wir sollten versuchen herauszubekommen, was hier los ist. Ich glaube, es könnte lohnend sein.
Flocke (zu Fixi): Die Leute dürfen nur dort sitzen, wo Liedzettel liegen – sag das bitte allen!
Fixi: Aber Tante Flocke! Das klappt niemals! Schau doch mal, wie viele das sind.
Flocke: Aber es sind die Auflagen.
Fixi: Was soll denn passieren? Im Freien? Beim CSD neulich draußen ist doch auch nichts passiert – und da quatschen die Leute mehr als wenn wir hier singen!
Flocke (nach kurzem Überlegen, seufzend): Hast Recht! Dann leg noch mehr Zettel in die Zwischenräume. (Fixi stürmt mit einem Stapel Liedzettel los und streut sie auf der Wiese aus.)
Wolle (am Einlaß, zu Huf): Huf, lauf zum Unterstand und hol ein paar Pötte heißen Tee für die Gegendemonstranten da am Zaun. (Huf trabt los.)
Edith und Richard: Hallo Wolle! Hallo Schafe! (Teresa und Emily krächzen auch irgendetwas wie „Hallo“).
Wolle: Um Himmels Willen – was ist denn mit euch los?
Edith (zuckt die Schultern): Die beiden haben sich gestern auf einer Demo draußen heiser geschrien …
Wolle: Oh je! Aber tapfer! (Sie lächelt die Mädchen an) Na, dann sucht euch mal einen Platz auf der Weide und laßt es euch gut gehen! Habt ihr Hocker mit?
Richard (hebt einen Klapphocker hoch): Na klar! Die vom Papstbesuch damals!
Wolle: Sehr gut!
Edith: Aber sag mal – wieso Gegendemonstranten?
Wolle: Ach! Die JuSos rufen doch immer mal zu Demonstrationen hier am Zaun auf. Da steht dann eine Handvoll bibbernder Jugendlicher mit dem Transparent „Geht euch impfen“, liefern ein paar mal ihre Sprüche ab und trollen sich wieder. Das dort scheinen auch welche zu sein …
Emily (heiser): Mhm! Gestern bei uns stand da auch irgendwo so ein winziges Grüppchen rum … (sie lacht.)
Edith: Ich seh‘ jetzt gar kein Transparent … (Sie geht mit Richard und ihren Töchtern los, um sich einen Platz im Publikum zu suchen) Dann jedenfalls gutes Gelingen gleich!
Wolle (fertigt schon die nächsten Gäste ab): Danke!
Huf (kommt vom Zaun zurück): Sie haben sich über den Tee gefreut, aber es sind gar keine Demonstranten. Sie wollen zuhören.
Wolle: Ah! Schööön! Dann merk dir mal ihre Gesichter, wenn sie öfter kommen, können wir ihnen ja sagen, wo der Tunneleingang ist, der in Fischers Garten rauskommt.
Hanna (am Gatter, sie ist mit Karl durch den Tunnel von draußen gekommen): Hallo Wolle!
Wolle: Seid gegrüßt – schön euch zu sehen! Sucht euch einen Platz!
Hanna: Danke! Also ich find‘ das ja toll, was ihr hier macht! Aber es ist schon auch komisch … draußen im Pflegeheim sind gestern wieder drei Menschen gestorben, und ihr macht hier in der Kirche einen auf Krippenspiel und führt den Messias auf!
Wolle: Nimmst du deinem Kind das Laufrad weg, weil auf der A10 ein Unfall war? – Nein, oder?! Die Kinder brauchen ihr Krippenspiel, ihre Feste, ihren Kindergarten und ihre Freunde! Kein Siecher lebt einen Tag länger, wenn wir hier die Lämmchen einsperren! Aber er stirbt in Trauer. Die Alten können nur dann beruhigt gehen, wenn sie wissen, das Leben geht in den jungen Menschen weiter! Das ist doch das Entscheidende!
(Hanna murmelt irgendwas und mischt sich mit Karl wieder unters Publikum. Langsam finden alle ihre Plätze und als die Schafe sich in Reih und Glied auf dem Podest sammeln und Flocke mit ihrem Taktstock nach vorne tritt, beginnt ein großes Zischeln und „Pscht“-Tuscheln. Dann beginnt die Musik).
Ach ja, Dostojewski — ich find ja überhaupt, dass die Kirche (insgesamt) – grad wieder alle DREI Versuchungen geradezu klassisch repetieren muss — jetzt ist sie beim „Brot für die Welt“, aber die andre steht schon daneben und steckt drin, ebenfalls Gross-Inquisitor, sich durch diese Popolaritätshascherei das entgleitende Scheibchen Macht an und in den Reichen dieser Welt zu sichern… und drittens noch mal durch den ,,Sprung in die Tiefe“: aus dem „sakralen“ Bereich, Tempel und Zinnen, aus der Höhe“ sich hinabzuwerfen in das „gemeine“ Leben, sich der Welt und der Masse zu konformieren, vor lauter ,,Brüderlichkeit“ jeden ,,Rang der Werte“ zu vermischen – Zölibat! Orden! und auch noch zu glauben, dies könnte niemand schaden, denn „Er hat seine Engel beauftragt, dass Du Deinen Fuss nicht stossest an einen Stein..“ (8.5.1967)
Meine liebe verstorbene Freundin Esther von Kirchbach, eine heiligmässige Lutheranerin, uns im Glauben sehr nahe, tröstete mich im Krieg einmal mit der Geschichte von dem Mönch, der, während das Haus brennt, in seiner Zelle an der Initiale weitermalt, weil er zum Löschen zu schwach ist – immer wieder kommt mir das Bild jetzt.
Nur mit gewalttätigem „voluntaristischen“ Anlauf kann ich mich zwingen, an die diversen neuen Frühlinge in Kirche, Kultur etc – nein, „glauben“ wäre eine glatte Übertreibung, also: sie auchnoch für möglich zu halten.. Aber doch mit dem Zusatz: Gott sei Dank, dass ich sie nicht mehr erlebe — diese Welt, deren ,,utopische“ Schilderungen mir als wahre Albdruck-Träume erscheinen, eine lemurische, des Humanen bare Welt voll zynischer Roboter. […] Ich finde nicht, dass ich ein laudator acti temporis* bin – dazu bin ich viel zu skeptisch. Ich seh auch den Greuel und Horror der diversen Vergangenheiten. Aber ich kann nicht finden, dass der Teufel nun anders als durch Beelzebub zum Quadrat ausgetrieben wird. Und jene Greuel haben sich doch, scheint mir, innerhalb eines Rahmens “richtiger“ Normen abgespielt und gegen sie verstossen, während jetzt Greuel zur Norm wird und Greuliches ihre offizielle Ausführung. (14.3.1967)
*Eigentlich laudator temporis acti, ”Lobredner vergangener Zeit” (Horaz)
Denn wirklich: wir müssen der Kirche, unsrer Kirche, vieles echt und redlich verzeihen lernen, was sie uns in ihrer Zeitbedingtheit angetan hat. Wie man ja auch lernen muss, seinen Eltern zu verzeihen, indem man ihre Entwicklung, so gut es geht, nachtastend begreift. Vielleicht klingt das horrend eingebildet und überheblich, aber ich meine es nicht so. Ich finde ja, wie ich Ihnen am Samstag auch sagte, mit das Schlimmste unsrer gegenwärtigen Entwicklung ist die unendliche Erbitterung, mit der ganze Generationen heute der Kirche gegenüber stehen – mit dem Gefühl, betrogen, düpiert, an der Nase herumgeführt worden zu sein unter den höchsten und heiligsten Vorwänden – und sich nun fortwährend dafür rächen zu müssen.
Dem entgegen versuche ich, die Linie einer Entwicklung nachzutasten, die ich trotz aller Irrungen und Wirrungen als eine notwendige, in ihrem Grundzug unvermeidliche empfinde – die man innen und aussen überwinden muss, statt sie zu verachten und zu verspotten. Aber das geht doch nur OHNE Ressentiment*?? (14.3.1967)
*Offenbar hatte der mönchische Briefpartner einem unlängst übersandten Manuskript gegenüber den Vorwurf erhoben, es sei ‘ressentimentgeladen’, was I.F. Görres energisch und begründet bestreitet. Mich beschlich bei der (allerdings eben nur einseitigen) Lektüre der Briefe ohnehin immer mehr das Gefühl, P. Paulus Gordan könne die Görres nicht wirklich verstanden haben. Ihre offenbar erhebliche und andauernde Zuneigung ihm gegenüber erstaunt mich daher doch.
In Amerika scheinen gerade Ordensleute jetzt in hellen Haufen zu gehen. Mich wundert das GARNICHT, die haben viel zu viele jugendliche Ordensberufe gehabt, genauer: Kinderberufe, glatt aus dem Pensionat oder College ins Noviziat, genau wie die Kinderverlobungen im Mittelalter. Und jetzt erwachen sie, ohne zu wissen wie, auf einmal im zwanzigsten Jahrhundert, wo sie doch im friedlichen behäbigen 19. seelisch eingetreten sind […] finden sich in einer Haut vor, die sie plötzlich nicht mehr als die eigene anerkennen können und die an allen Nähten platzt. Wo das wirklich NUR ,,Schale“ war, muss es ja abfallen. Wo sie das, was sie besitzen, neu erwerben können, ist’s gut.* Aber WIE schwierig. Und natürlich vibrieren gerade die Besten mit allen Antennen und eigenen Fasern vom Zeitgeist, – dem was dran Heiliger Geist ist und was die bösen ,,Geister der Luft“ sind, deren eigentlicher Raum […] ja auch der „Zeitgeist“ ist. […]
Ach, die Brücke, die Brücke bauen dürfen, die von gestern nach morgen führt – zuverlässig, so dass sie die Menschen wirklich trägt, die sie betreten, schwungweit genug, dass sie wirklich das andre Ufer berührt und dort verankert ist, nicht zaghaft in der Mitte abbricht! (22.7.1966)
*Hier ist freilich darauf hinzuweisen, daß, mit offizieller kirchenamtlicher Unterstützung!, dieser Prozeß der Entfremdung durch die Entsendung von “Psychotherapethen” o.ä. de facto gefördert worden ist, wo es notwendig gewesen wäre, den Versuch der “Neu-Erwerbung” im geistlichen Sinne zu ermöglichen! (Vgl. auch das Zitat zu Tag 13)
Obschon ich meine, dass weder Barbaren noch sonst was von damals je einen so perniziösen Ruin-Prozess bewirkt oder eingeleitet haben wie die heutigen geistigen und seelischen Sprengstoffe, deren Wirkung ich ja noch weit mehr fürchte als Atombomben und selbst russische Occupation. Jeder Blick […] bestärkt mich darin… denn die Weise, wie die Dummen sich der besten Anregungen und Impulse bemächtigen und sie zur Karikatur ihrer selbst machen, enragiert mich natürlich besonders. ,,Die Dommen sind GEFÄHRLICH!!“ konnte meine feu Schwägerin Ida Roland mit rollendem Burgtheaterpathos ausstossen – und sie hat leider recht damit. Die Dommen SIND gefährlich und sie sind ja immer die erdrückende Überzahl. Über Ihren unmutig-optimistischen Warnruf im Leitartikel habe ich mich doch etwas gewundert – nein, Stagnation ist das letzte, was ich jetzt in der Kirche befürchten würde. Ich habe im Gegenteil den Eindruck, dass die missverstandene, zum Deckmantel tausend kleiner Interessen um-interpretierte, von den Dommen“ verfälschte Reform geradezu wie ein Präriefeuer um sich greift und lustig daran ist, überall gerade die Trageschicht der venetianischen Pfähle aufzuweichen und auszufaulen. (20.4.1966)
Das Empfinden der in Bewegung geratenen Lawine ist sogar noch verstärkt – vor allem das, dass überhaupt kein Mensch auch nur ahnen kann, was alles sie wegreissen und verschütten wird — und ob, was dann einmal – wir erleben es nicht mehr! – als neues Leben aus den Ruinen spriessen – wird, überhaupt wirklich die neue Phönixgestalt wird oder schlechthin etwas andres, ganz Fremdes, Nicht Identisches, das uns eigentlich gar nichts angeht. So bleibt man also doch auf dem Untergang sitzen, „einsam will ich untergehen usw.“* allerdings dies gerade weniger, denn der Untergang ist ja ziemlich kollektiv. (21.1.1966)
*Vermutlich ist die gleichnamige Ballade von Clemens Brentano gemeint, hier zu lesen.