Zurüruck zum Inhalt

PuLa-Reloaded: “Soll ist muß, wenn kann“

Der folgende Text erschien ursprünglich im November 2014 aber er geht zurück auf den März dieses Jahres und spiegelt eine Auseinandersetzung über einen wiederholten (Nachweise im Text) liturgischen Mißbrauch wider, die nicht nur nicht auf Ebene der Pfarrei zu lösen war (“‘natürlich’ nicht”, werden Insider jetzt automatisch sagen), sondern leider auch auf Bistumsebene weder auf eine angemessene menschliche noch sachliche Haltung traf, noch in irgendeiner Form sinnvoll angegangen wurde.
Es sind diese Erlebnisse, die einen halbwegs aufgeweckten Gläubigen darüber ins Grübeln kommen lassen, was der HErr sich mit der Auswahl des gerade aktiven kirchlichen Leitungspersonals so gedacht haben kann. Das ist in den letzten 7 Jahren leider nicht besser geworden, nein, wir wollen ehrlich sein, es ist mehrheitlich noch schlimmer geworden, weltweit, aber wir wissen ja, daß Er sich etwas dabei denkt, und so wollen wir nicht den Mut verlieren, nicht wahr?

Und eine Mutmacher-Geschichte ist es auch letztlich, die gleich erzählt wird, eine Geschichte vom “donum perseverantiæ”, dem ‘Durchbeißen’ und wie es letztlich belohnt wird.

Außerdem ist sie inhaltlich unverändert aktuell, kann vielleicht sogar dem ein oder der anderen, die sie jetzt neu lesen, ganz praktisch helfen und – daran erinnern, warum für Katholiken “Rom” immer ganz nah ist. Immer!

Enjoy: 🙂

“Soll ist muß, wenn kann“ – Erläuterungen zu einem unstrittigen Thema

Deus meus, eripe me de manu peccatoris, et de manu contra legem agentis, et iniqui :
quoniam tu es patientia mea, Domine ; Domine, spes mea a iuventute mea.
(Ps 70, 4f. Vg)

(Mein Gott, entreiße mich der Hand der Sünder und der Hand derjenigen, die gegen das Gesetz handeln und ungerecht: bist Du doch meine Geduld und mein Ertragen HErr; HErr, meine Zuversicht und Hoffnung von Jugend auf. Eigene Übertragung aus dem Lateinischen)

 

Die folgenden Darlegungen – es hätte nicht nötig sein sollen sie zu schreiben.

Und ich hätte mich so gefreut, wenn sie wirklich niemals nötig geworden wären, oder wenn es dann im weiteren auch nur irgendeine Chance gegeben hätte, sie doch noch zu vermeiden.

So aber, wie sich die Angelegenheit über die letzten ca. 8 Monate entwickelt hat, gab es diese Möglichkeit leider nicht.

Und fürchte ich, diese Ausführungen sind auch deshalb nicht überflüssig, weil sie über unseren kleinen Kosmos im Bistum Erfurt hinaus symptomatisch sein könnten für eine bestimmte Haltung in der ganzen Kirche in Deutschland.

Und deshalb bitte ich Sie, mir zu folgen durch diese Erläuterungen zu einer völlig unstrittigen Frage; das Wörtchen „sollen“ wird dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Alles begann am 23. März 2014, als in der Messe um 10.30 Uhr, die in der Pfarrkirche Herz-Jesu, Weimar gefeiert wurde, das Eucharistische Hochgebet durch Musikinstrumente begleitet wurde (PuLa berichtete). Dieser Vorgang wiederholte sich dann noch einmal am 14. September 2014 im Hochamt um 10.30 Uhr (PuLa berichtete ebenfalls).

Unsere entsetzte Reaktion hier auf dem Blog, in der wir begründet und mit für jedermann nachvollziehbarem Bezug auf das Kirchenrecht dargelegt haben, warum das nicht zulässig ist (und warum es auch nicht bloß eine liturgische „Kleinigkeit“ ist), hat im Frühjahr unter den Angehörigen der Pfarrei Herz-Jesu-Weimar eine durchaus lebhafte Debatte ausgelöst: Die einen sagten, das kennten sie doch aus Amerika, die anderen, das kennten sie aber aus Frankreich (dazu später mehr), und es war auch verschiedentlich der Satz zu hören: „Ich fand es aber schön.“

Darauf müssen wir kurz eingehen. „Ich fand es aber schön.“ Aha. Ich nicht! „Ich aber doch!“, „Ich nicht!“… Sehen Sie, worauf das hinausläuft? Auf ein potentiell unendliches Palaver, das naturgemäß keine verbindlichen Maßstäbe kennt. Halten wir also zu Beginn fest, individuelles ästhetisches Empfinden spielt hier keine Rolle, kann es nicht spielen. Und damit das ganz klar ist: Unser Empfinden, die wir es ganz fürchterlich fanden, als solches auch nicht! Unser Empfinden war richtig, weil und insoweit es sich mit den objektiven Normen der Kirche in Übereinstimmung befindet. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang an, warum, das wird gleich deutlich werden.

Zum folgenden ist nämlich, so fürchte ich, eine Art begründender Vor-Satz erforderlich. Denn wenn immer ein deutscher Katholik sich daran macht, von ihm als solche wahrgenommene „liturgische Probleme“ nicht stillschweigend (bzw. im Wortsinne „leise weinend“) auf sich beruhen zu lassen, ist ja „Polen offen“, wie man hierzulande so schön sagt. Dann wird man gern als „Denunziant“ oder „Nestbeschmutzer“ oder was dergleichen Nettigkeiten mehr sind bezeichnet. Oder man wird aus dem Munde von geweihten Amtsträgern coram publico mit den Pharisäern der Zeit Jesu gleichgesetzt, und die erstaunte gottesdienstliche Versammlung muß mit anhören, wie es angeblich auch heute noch hartherzige Gesetzesgläubige gäbe, wie damals. So hier geschehen. Nun, seit wir uns daran gewöhnt haben, als „Schädlinge“ und „Diaboli“ bezeichnet zu werden (vgl. hier und hier), trifft uns das persönlich nicht mehr. Und ich will auch an dieser Stelle nicht über die mangelhafte theologische Reflexion klagen, die dieser platten Gleichsetzung von „Norm der Kirche“ und „Gesetz des Alten Bundes“ so  offensichtlich in gleich mehrfacher Weise zugrundezuliegen scheint.

Das ist problematisch genug, aber hier geht es um etwas noch Grundsätzlicheres, es geht um die richtige Auffassung dessen, was geschieht, wenn wir in Gemeinschaft die Hl. Messe feiern, überhaupt.

Diese Feier ist nämlich niemals beschränkt auf die soziologisch zufällige jeweilige gottesdienstliche Versammlung (die man genau deshalb auch nicht ständig als „Gemeinde“ hypostasieren sollte, was häufig genug in durchsichtiger Absicht geschieht, vgl. hier), sondern jede Hl. Messe wird gefeiert in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche, was eben ganz besonders im Hochgebet deutlich wird.

Das „Wir“, das dort feiert, überall, in Weimar, Rom, Erfurt, Ouagadougou, oder wo auch immer, ist immer dieses „Gesamt-Wir“. Es ist die Kirche aller Orte (synchrone Ebene).

Und es ist genauso die Kirche aller Zeiten (diachrone Ebene), ein überaus „komplexes und vielfältiges Beziehungssystem“, wie das die Liturgiewissenschaftler einmal richtig sagen.

Und dieses Beziehungssystem ist eines, in dem es eines tut. Überall. Immer. Und zwar so, wie es die eine heilige Kirche, die wir im Credo bekennen, sagt. Genau so.

Im Kern des Kerns des Vollzugs unseres Glaubens, den das Hochgebet in der Hl. Messe darstellt, kann es daher keine Abweichung, keine Variation geben, die die Kirche nicht gutheißt (und schon gar kein eigenmächtiges Experiment).

Wer dennoch eine solche Abweichung praktiziert, der verletzt diese Einheit, der verletzt damit den Leib Christi, der wir alle sind. Nichts weniger.

Empfangt, was ihr seid: Leib Christi, damit ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi. Sagt der Hl. Augustinus (vgl. Sermones 272, 227)

Ich habe das wahrhaft spät genug in meinem Leben begriffen, aber wenn man es einmal begriffen hat, dann empfindet man es auch. Ganz unmittelbar und emotional. Und dieses liturgische (und erst in zweiter Linie ästhetische) Empfinden ist eben gerade kein „elitäres“ Gefühl Einzelner (wie das so oft häßlicherweise unterstellt wird), sondern wie wir gerade gesehen haben, ein Empfinden in Gemeinschaft, der „etwas“ weiteren Gemeinschaft, die immer „anwesend“ ist, und um die es wirklich geht.

Und wenn Menschen, die (gewiß nicht aus eigenem Verdienst!) das so empfinden, wie es ist, diffamiert werden als verknöcherte Rechthaber um des Rechthabens willen, oder weil sie „den Pfarrer ärgern“ wollten oder wegen irgendeinem anderen Quatsch, der ihnen unterstellt wird, dann ist das ziemlich traurig und bedrückend. Freilich, vor dem Hintergrund des gerade skizzierten richtet es sich selbst und es sagt immer mehr über diejenigen aus, die so reden, als über diejenigen, auf die es zielt.

Soweit die Ausgangslage, theologisch und emotional und ich hoffe aufrichtig, die eine oder der andere wird nun ein wenig besser verstehen, warum ich das, was geschehen war, nicht auf sich beruhen lassen konnte.

Ich habe mich also daran gemacht, Briefe zu schreiben. Sehr vorsichtige Briefe, ganz anders als der erste Blog-Beitrag, der ja noch ganz aus der aufgewühlten Situation entstanden war, Briefe die lediglich das Faktum schilderten und die Frage stellten, ob das denn wohl mit den Regeln der Kirche übereinstimmen könne, was da geschehen war. Und dabei habe ich mich aus Respekt vor der hierarchischen Verfaßtheit der Kirche, aus Gründen der Fairneß und der Subsidiarität ganz systematisch von unten nach oben bewegt, was die Zuständigkeit angeht (wenn es Sie interessiert kann ich Ihnen die Briefe gerne zeigen!).

Und ich habe von jeder Ebene Antwort erhalten und zwar dankenswerterweise immer ausgesprochen zügig. Daran lag es nicht, daß sich die Sache so lange hingezogen hat. Das lag allerdings zweimal unter anderem am Inhalt der Antworten und der Notwendigkeit, sich danach, wie soll ich sagen, „neu zu justieren“; man soll ja nicht hastig sein, in solchen Dingen, nicht wahr?

Aus den Antworten, die ich erhalten habe, ausführlich zu zitieren, oder sie gar in Gänze zu veröffentlichen verbietet mir das ‚Fühlen mit der Kirche‘, aber einige Punkte müssen in allgemeiner Form schon kurz angesprochen werden.

  • Kein mündiger Gläubiger wird sich mit einem bloß behauptenden Satz ohne jede Begründung  zufriedengeben können, wenn es ihm erkennbar um etwas wirklich wichtiges geht.
  •  Auch in diesem Zusammenhang begegnete mir der Satz: „das ist eine französische Gewohnheit.“ Dazu ist zu sagen, daß  in einem einheitlichen Rechtsraum (wie es die Kirche ist) aus der Verletzung einer überall gleich geltenden Norm keinerlei Rückschluß gezogen werden kann, es könnte vielleicht doch „irgendwie gehen“, denn es gilt hier wie überall natürlich der Grundsatz: „Es gibt keine Gleichbehandlung im Unrecht“. Die Beobachtung ist daher unter dem Aspekt der Zulässigkeit irrelevant. Sollte sie empirisch zutreffen (was ich fürchte, aber nicht weiß) ist es nur umso dringender, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen.
  •  Wenn schließlich implizit die Frage aufgeworfen wurde, ob das, was ich geschildert hatte, sich auch wirklich so zugetragen hätte, und damit zugleich die Denk-Möglichkeit im Raum stand, ich hätte in Bezug auf etwas, das mit der Hl. Eucharistie zu tun hat, die Unwahrheit sagen können, dann war in diesem Augenblick leider auch auf der persönlichen Ebene die Gelegenheit dahin, die Angelegenheit in den Grenzen des Bistums Erfurt zu halten.

Und so kam schließlich der Tag, an dem ich Post aus Rom erhielt.

„Vatikanstadt, den 17. September 2014, Prot.N. 494/14“

Es war kurz nachdem am 16. September der zweite Blogeintrag erscheinen war, und wer sich u.U. damals gewundert hat, warum wir uns, im Vergleich zu der Erschütterung, der wir im Frühjahr Ausdruck verliehen hatten, quasi auf einen Nebensatz beschränkt haben, das lag eben daran, daß ich damals den Brief der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung erst noch erwartete.

Und der Inhalt des Briefs aus Rom? Keine Überraschung!

Da wurde exakt auf das Bezug genommen, was ich im März ebenfalls  zitiert hatte: Die Nummer 53 der Instruktion Redemptionis Sacramentum, die ihrerseits (in Anm. 132) verweist auf die grundlegende Norm in der Einführung in das Römische Meßbuch, bzw. der Grundordnung des Römischen Meßbuchs (die genauen Bezeichnungen folgen weiter unten)

Sie lautet:

  1. Die Worte, die der Priester als Vorsteher spricht, verlangen von ihrem Wesen her, daß sie deutlich und vernehmlich vorgetragen werden, und daß alle Gläubigen aufmerksam zuhören. Deshalb soll gleichzeitig nichts anderes gebetet oder gesungen werden; auch Orgel und andere Musikinstrumente sollen schweigen.

Und? Warum habe ich das nicht schon Ende September hier geschrieben, sondern noch 8 Wochen zugewartet?

Gute Frage!

Die Antwort lautet: Weil es mir zu keinem Zeitpunkt darum ging, bloß zu sagen: „Ätsch, ich hab‘ recht und Rom sagt’s auch!“ 😉 , sondern weil ich wirklich verstehen wollte, was da abgelaufen war in den Köpfen der Verantwortlichen. Denn schon im Frühjahr, nach dem ersten Blogeintrag, hatte man „gehört“ (leider wie üblich nur indirekt…), das „ginge“ sehr wohl, das „wüßten nur manche Leute nicht“ und ich verstand einfach nicht, wie man auf diese Idee kommen konnte. Aber kurz nach Eintreffen des Briefes aus Rom „hörte“ man dann, (wiederum indirekt, ich muß wohl den Eindruck erzeugen, ich bisse, wenn man direkt mit mir spricht…) da stünde ja bloß „solle“ und also könne man ja auch anders.

Aha! Da lag also des Pudels Kern. Hier sollte mit der Rechtssprache argumentiert werden. Na dann!

Um das Ergebnis vorwegzunehmen:

Dieser Versuch basiert (bestenfalls) auf einem gravierenden Mißverständnis und führt im Ergebnis vollständig in die Irre.

Aber das auseinaderzuklamüsern hat eben noch ein wenig gedauert, sorry… 😉

Zunächst gilt es festzustellen, daß wir es mit einer Norm der Kirche zu tun haben. Deren im Fall einer notwendigen Interpretation, bzw. einer Auseinandersetzung über das Verständnis einer Vorschrift allein verbindliche Rechtssprache ist das Lateinische; das ist, wie ich es vor kurzem schon einmal geschrieben habe (hier), eben „unsere Sprache“, ob das allen paßt, oder nicht 🙂 . Auf Latein heißt die Vorschrift so:

  1. Natura partium „praesidentialium“ exigit ut clara et elata voce proferantur et ab omnibus cum attentione auscultentur. Proinde dum sacerdos eas profert alia orationes vel cantus non habeantur, atque Organum vel alia instrumenta musica sileant.

Was uns hier interessiert, „steckt“ in den konjunktivischen Verbformen (non) habeantur und sileant. Man könnte sie etwas altmodisch ungefähr übersetzen mit „mögen nicht zu haben sein“, bzw. „mögen schweigen“. Also ist auch die Übersetzung mit „sollen“ nicht falsch. Es wäre ja auch eigentümlich gewesen, wenn seit Jahrzehnten in einem offiziellen Dokument der Kirche eine falsche Übersetzung gestanden hätte!

Auf die Übersetzungsfrage kommen wir gleich trotzdem noch einmal zurück, aber zunächst können wir uns nun erst einmal auf die Frage beschränken, wie in einem (kirchen-) rechtlichen Sinne das deutsche Wort „sollen“ zu verstehen ist.

Da ist schon von der deutschen Rechtssprache her zunächst klar: „Sollen“, bzw. „Nicht-Sollen“ haben ihren Platz in Gebots- bzw. Verbots-Normen. Diese Worte gehören nicht zum Bereich der „Kann-Vorschriften“! Vielmehr unterscheiden sie sich von den „Muß-Vorschriften“ vor allem darin, daß die Sanktionen im Fall ihrer Nicht-Befolgung schwächer ausfallen.

Von der Verwendung des Wörtchens „sollen“ auf „können“ und damit auf „freie Bahn“ zu schließen, ist also schon mal selbst im allgemeinen Rechtsverständnis schlicht falsch.

Weil man nun aber seine eigenen Überlegungen ja tunlichst immer noch mal überprüfen sollte, habe ich zu diesem Thema einen promovierten Kirchenrechtler aus dem Süddeutschen befragt (nach meinem Eindruck kein ausgewiesener Traditionalist!), dem ich für die ausführliche Antwort auch an dieser Stelle sehr herzlich danke!

Er hat den Sachverhalt bestätigt und auf die Formel gebracht, die diesem Beitrag den Titel gegeben hat:

„Soll ist muß, wenn kann“

Und da wohl kaum eine Situation denkbar ist, in der es nicht möglich ist, während des Hochgebets keine Musik (oder anderes „Geräusch“) zu machen, ist die zwingende Schlußfolgerung klar: Musik während des Hochgebets ist nicht zulässig, sie muß unterlassen werden.

Und nun kommen wir wieder auf die Frage der Übersetzung zurück: Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß vor der gleichen Vorschrift in zwei Sprachen oben zwei verschiedene Ziffern stehen, die 12 und die 32. Das liegt daran, daß sich die (lateinische) Formulierung der Norm seit (spätestens) 1969 (!) nicht geändert hat, sie aber mittlerweile in einem veränderten Umfeld steht.

Und im Augenblick gibt es tatsächlich auch zwei deutsche Übersetzungen!

Und beide sind seitens des Vatikan approbiert und von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht. Wie das sein kann?

Gute Frage!

Das hängt damit zusammen, daß in Deutschland seit Jahren nicht umgesetzt wird, was gesamtkirchlich Stand der Dinge ist, das Römische Meßbuch in der dritten Auflage nämlich. Die (problematischen) Gründe dafür zu beschreiben würde den Rahmen dieses Artikels vollends sprengen, aber was „unsere Norm“ betrifft, so hat sie aktuell im „ Missale Romanum, Editio typica tertia, 2002“ im Bereich der „Institutio generalis“, der „Grundordnung des römischen Meßbuchs, Vorabpublikation durch die DBK 2007“ (GRM), eben die Nummer 32, während sie vorher in der Allgemeinen Einführung in das Römische Meßbuch (AEM) die Nummer 12 hatte.

In Deutschland ist nun aber nach wie vor das „Meßbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes, Zweite Auflage, gemäß Editio typica altera des Missale Romanum, 1975 [und weiteren Ergänzungen] zuletzt 1996“ in Kraft, weil die dritte Auflage nicht (weiter) übersetzt wird.

Wer nun mir, bzw. meinen Überlegungen nicht trauen will und auch nicht einem ausgewiesenen Kirchenrechtler, wenn er schreibt: „die korrekte Bedeutung eines Sollens im rechtlichen Sinne [ist] nicht so verbreitet, wie es nötig wäre. Diese Bedeutung kann man kurz so fassen: „soll ist muss, wenn kann“. Sofern also kein Hinderungsgrund vorliegt, ist ein Sollen nicht bloß ein Können, sondern ein Müssen.“, der lese bitte die höchstoffizielle Übersetzung der Vorschrift aus dem Jahre 2007:

  1. Die Texte, die der Priester als Vorsteher spricht, verlangen von ihrem Wesen her, daß sie mit deutlicher und lauter Stimme vorgetragen und von allen aufmerksam angehört werden. Deshalb ist gleichzeitig nichts anderes zu beten oder zu singen; auch Orgel und andere Musikinstrumente haben zu schweigen.

Sehen Sie? „Ist“ und „haben zu“, also glasklare Muß-Formulierungen, haben das „sollen“ abgelöst, offenbar in der Absicht, das immer schon gemeinte nun auch aber wirklich für jedermann unzweideutig darzulegen.

Nochmal: An der Vorschrift selbst, ihrer lateinischen (d.h. letztgültigen) Formulierung, ihrer Verbindlichkeit und der zwingenden Interpretation hat sich seit über 40 Jahren nichts geändert! Die neue Übersetzung ist lediglich eine, wenn auch vielsagende, Verdeutlichung.

Niemand kann sich auf das „sollen“ beziehen, der etwas anders machen möchte, denn „sollen“ ist insoweit „müssen“ und niemand kann sich auf die Noch-Gültigkeit des Meßbuchs von 1975 beziehen, denn da stand immer schon das gleiche drin.

Musik (oder anderes Geräusch) während des Eucharistischen Hochgebets ist verboten. Das ist keine erlaubte Variation in der Feier der Hl. Messe.

Sie finden die Quellen unter den folgenden Links: Die „Institutio Generalis Missalis Romani“ in der ursprünglichen Fassung von 1969 hier (lateinisch), die AEM in der Fassung von 1975 [1996] hier (deutsch) und die GRM in der Vorabpublikation von 2007 hier (deutsch, beachten Sie bitte auch das Vorwort von Kard. Meisner). Und hier noch einmal der Link auf die Instruktion Redemptionis Sacramentum.

Bleiben noch zwei Fragen:

Zunächst: Wie sieht es denn im kirchlichen Zusammenhang aus mit der Frage der Rechtsfolgen? Ich hatte ja oben im allgemeinrechtlichen Zusammenhang geschrieben, bei „Soll-Vorschriften“ falle deren Sanktionierung nicht so stark aus. Gilt das hier auch? Nein, denn dieses „Sollen“ ist eben wirklich ein „Müssen“! Schon im März habe ich auf die einschlägige Passage in Redemptionis Sacramentum hingewiesen: „174. Darüber hinaus sind jene Handlungen, […] die an anderen Stellen dieser Instruktion […] behandelt werden, nicht als geringfügig einzustufen, sondern zu den anderen Mißbräuchen zu rechnen, die gewissenhaft vermieden und korrigiert werden müssen.“ (Hervorhebung von mir)

Dementsprechend heißt es in dem Schreiben der Gottesdienstkongregation an mich: „Dieses Dikasterium möchte Ihnen versichern, dass diese Kongregation das von Ihnen eingesandte Material genauestens studiert hat und sich mit der zuständigen kirchlichen Autorität in Verbindung setzen wird […]“. Und das „In Verbindung-Setzen“ geschieht keineswegs immer, manchmal erhält man als Antwort auch bloß die freundliche Aufforderung, doch mit der örtlichen Autorität in Kontakt zu bleiben, wie ich in meiner zwischenzeitlichen Beschäftigung mit derartigen Schreiben aus Rom gelernt habe (was man so alles lernt, wenn man einer solchen Frage nachgeht… 🙂 ).

Die noch wichtigere Frage ist aber, was ist eigentlich die geistige und seelische Grundlage dafür, daß man überhaupt ein derartiges Phänomen antrifft? Was führt dazu, daß es offenbar Menschen gibt, die solange es irgendwie geht versuchen, eine von vorneherein unhaltbare Position zu verteidigen?

Dabei steht eines fest: Auf das Zweite Vatikanum kann man sich dabei gerade nicht berufen! Die Vorschrift stammt unmittelbar und unverändert aus der Zeit der nachkonziliaren Liturgiereform und sie entspricht ja auch hundertprozentig den damaligen Anliegen: Es ging ja eben u.a. genau darum, daß die „Vorsteher-Gebete“ nun von jedem gehört werden können sollten! Sollte es unter denjenigen, die in jedem zweiten Satz „das Konzil“ heraufbeschwören, am Ende solche geben, denen es weniger um das (21. ökumenische 😉 ) Konzil und seine Inhalte, als vielmehr um ihre (liturgische) Selbstermächtigung geht?  Um das „Sich-nichts-sagen-lassen-wollen“ von „Rom“? Dazu darf ich an die Nummer 27 aus Redemptionis Sacramentum erinnern:

„Der Apostolische Stuhl hat seit dem Jahr 1970 das Aufhören aller Experimente bezüglich der Feier der heiligen Messe angemahnt und dies im Jahr 1988 von neuem bekräftigt. […]“

Seit 1970!

Ich möchte den hier vor Ort Handelnden eine solche Haltung nicht unterstellen, sondern nur ein allerdings erhebliches Ausmaß fehlender Rechtskenntnis konstatieren, das aber, wie ich fürchte, auch nur in dem nun schon jahrzehntealten Klima wachsen konnte, einem Klima, das „Recht“ bloß als Einschränkung, als Behinderung zu empfinden in der Lage war. Traurig.

Nun, ich bin jetzt ein wenig erleichtert, daß es vorbei ist, aber ich habe mir diese Arbeit jedenfalls wirklich gerne gemacht und ich bin sehr dankbar für die, wenn ich so sagen darf, „spirituelle Rechtssicherheit“, die damit hergestellt ist, denn künftig ist, durch das Schreiben aus Rom nach Erfurt (und ein bißchen vielleicht auch durch diesen Beitrag), ein weiteres Fortleben dieses schlimmen Mißverständnisses für unser Bistum ja nun zum Glück völlig ausgeschlossen.

Hoffen wir, daß es nicht noch weitere Fälle geben wird, in denen das so lange dauert. 😉

Gereon Lamers

 

Heut mal bei uns

Das Weimarer Konzert im Rahmen des Thüringer Orgelsommers

Zum dreißigsten Mal findet in diesem Jahr der Thüringer Orgelsommer statt. Die Konzertreihe wurde Anfang 1992 von KMD Gottfried Preller gegründet und soll den Reichtum gerade der Thüringer Orgellandschaft erlebbar machen und zu erhalten helfen. Schließlich zählen Orgelbau und Orgelmusik mittlerweile zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO, und Thüringen spielt mit seinen rund 2.000, zum Teil historisch hoch bedeutsamen Orgeln (denken Sie nur an das Renaissance-Instrument auf der Wilhelmsburg Schmalkalden!) eine tragende Rolle in dieser in Deutschland so herausragenden Tradition.

Natürlich hätte der dreißigste Geburtstag groß gefeiert werden sollen. Und – man ist beinahe versucht, auch an dieser Stelle fälschlicherweise „natürlich“ zu sagen – auch diesem Fest machen die Coronaschutzmaßnahmen einen Strich durch die Rechnung. Aber die 48 Konzerte finden doch statt, in Dorfkirchen zwischen Limlingerode und Oberweid, Ifta und Oppurg, in Städten wie Erfurt, Arnstadt und Meinigen.

Und in Weimar.

Zumindest ein einziges.

Und das auch noch an der Franz-Liszt-Gedächtnisorgel (FLGO) in unserer Pfarrkirche Herz Jesu!

Wie kommt’s? Nun – der Stadtkirchenkantor hat sich mit einem Weimarer Orgelsommer schon vor Jahren selbständig gemacht und veranstaltet zwischen Ende Juni und Ende September im Wochenrhythmus eine gesonderte Konzertreihe. Und in dieser Reihe engagiert sich seit dem ersten Jahr seiner hiesigen Tätigkeit, nämlich schon seit dem Sommer 2020, auch Martin Sturm, als Professor für Orgelimprovisation und Leiter des Studiengangs Kirchenmusik der Nachfolger des Initiators der FLGO Michael Kapsner. Zweimal konzertiert Sturm mit den Weimarer Studierenden der Kirchenmusik in St. Peter und Paul sowie ein weiteres Mal gemeinsam mit der Cellistin Christina Meißner.

Die Orgelklasse von Prof. Sturm bespielt übrigens auch die Franz-Liszt-Orgel Denstedt im Rahmen der Weimarer Liszt-Tage . Nur mit seinem eigentlichen Erbe, dem hochschuleigenen Instrument in der Herz-Jesu-Kirche, scheint sich Martin Sturm irgendwie schwer zu tun. Vielleicht muß an dieser Stelle unsere Gemeinde von sich aus ein wenig aktiver werden, um den Traum von der „konzertanten Nutzung des neuen Instruments“ und damit dem In-den-Blick-Rücken immer wieder auch der katholischen Kirche in Weimar wahr werden zu lassen. Denn wird es nicht Zeit, daß Abstriche nur noch die Bögen auf Violinsaiten machen und nicht immer weiter unsere ganze katholische Pfarrei?

Aber was auch immer die Zukunft für uns bereithält: Freuen wir uns über das Konzert am heutigen Abend in Herz Jesu Weimar im Rahmen des Thüringer Orgelsommers. Hierzu wird der in Erfurt gebürtige und an der Weimarer Musikhochschule ausgebildete Martin Kondziella aus Berlin anreisen und unter dem Motto „Transkriptionen“ u.a. Werke von Franz Liszt und Felix Mendelssohn Bartholdy spielen.

Das Konzert beginnt um 20 Uhr und kostet 10 Euro Eintritt. Es empfiehlt sich u.U. eine Kartenreservierung unter der Emailadresse kontakt@orgelsommer.de.

Hier eine Kostprobe vom YouTube-Kanal des Organisten. Enjoy 🙂

 

Cornelie Becker-Lamers

 

PS: Der Vollständigkeit halber sei auf ein im Sommer-Pfarrbrief angekündigtes Festkonzert zum 130. Jahrestag der Kirchweih von Herz Jesu Weimar hingewiesen. Am 22. Oktober 2021 werden um 19.30 der Hochschulkammerchor unserer Musikhochschule unter der Leitung von Jürgen Puschbeck sowie Martin Sturm an der FLGO konzertieren.

PuLa-Reloaded: Elsleins Förderstunde

Heute haben wir für das PuLa-Reloaded einen Text aus dem November 2013, der mitten aus der sozusagen “entwickelten Hochphase” der Auseinandersetzung stammt, damals, als die andere Seite meinte, hinter dem dünnen (sehr dünnen) Schleier vermeintlicher Anonymität ihre Position durch den Mund der Kunstfigur “Else Franke” dartun zu sollen.
Naja, hat nicht lange funktioniert. 😀

So ist das folgende zwar einerseits zeitgebunden, andererseits hat der Text sich aber, meinen wir, ganz gut gehalten, weil er sich anhand der konkreten Situation Gedanken macht, die unverändert von Interesse sind.

Gereon Lamers 

 

Daher viel Spaß mit: 

 

Elsleins Förderstunde, oder: Eine leicht faßliche Anleitung
zum Verständnis literarischer Texte (plus Sketchlet!)

Wie die Zeit vergeht: Jetzt ist es tatsächlich schon gut einen Monat her, daß auf PuLa eine Anleitung zum Verständnis literarischer Texte angekündigt wurde (hier); zu den Punkten 6) und 7) und so will ich dieses Versprechen doch auch endlich einlösen.

Anlaß waren, es sei der verstrichenen Tage wegen daran erinnert, neuerliche Zeilen von unserem „Elslein“ (Enttarnung bereits vor anderthalb Jahren (hier).

Also, „Elslein“. Schauen Sie: Sie erfinden doch auch ständig Sachen. Das mit der „zweijährigen Bußzeit“ zum Beispiel. Das war ja ein richtiger Knüller. Sind außer uns alle drauf reingefallen und haben gar nicht mehr weiter nachgefragt.

Es war aber einfach nicht wahr, vielleicht gar eine Lüge. Keine Literatur und überhaupt nicht lustig.

Oder die Wanderlegende von den gegen den Pfarrer gesammelten Unterschriften. Die war doch bestimmt auch von Ihnen (auch wenn sie selbst ein geweihtes Haupt schriftlich weiterverbreitet hat, leider. Ich habe da dankenswerterweise einen Brief aus dem Kreis 55+, aus dem das hervorgeht). Jedenfalls war diese Legende ja sogar durchaus ausgeschmückt: Vor der Herderkirche würde die jeweilige Sammlerin stehen (denn die Wanderlegende wurde ja nicht nur über mich erzählt, sonst wär‘s ja auch keine Wanderlegende, sondern immer über die, die eben gerade schlecht gemacht werden sollte. Wir sollten schließlich auf gar keinen Fall in den PGR gewählt werden – auch von denjenigen älteren Herrschaften nicht, die sich beim Ausfüllen ihrer Wahlzettel nicht vom „Elslein“ helfen lassen würden.)

Wir haben jede Menge gelacht bei der Vorstellung, wie da jemand angeblich vor der Stadtkirche steht. Denn die Stadtkirche St. Peter und Paul (vulgo „Herderkirche“) war ja damals wegen Restaurierung geschlossen und ihr Vorplatz lange Zeit Baustelle, weil man dort im Zuge der Arbeiten die Grabstätten eines vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein genutzten Friedhofs freigelegt hat (hier). Da sollte also eine von uns mitten zwischen den uralten Skeletten stehen und, den Baulärm überbrüllend, von irgendwelchen versprengten evangelischen Touristen aus Göttingen (Insiderwitz 🙂 ), die trotz allem an der Kirchentür klinken, Unterschriften gegen einen ihnen unbekannten katholischen Priester erbetteln?

Herrlich! Einfach wunderbar!

Das war also immerhin schon mal lustig. Aber trotzdem eine Lüge (denn das war sicher intentional) und keine Literatur.

So. Und jetzt die Wundersdorfer Sketche. Die sind lustig. Und so unglaublich viel wahrer als jede gut belegte Erzählung über die Vorgänge in unserer armen, heruntergewirtschafteten Pfarrei. Warum? Weil sie Literatur sind: „Der Dichtung Schleier“, um mit unserem Weimarer Mitbürger Goethe zu sprechen, „Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.“

Das ist Literatur. Sie sagt die Wahrheit oder läßt die Wahrheit erkennen, obwohl sie u.U. an einem fiktiven Ort spielt mit Figuren, die nie gelebt haben, oder deren Gattung sogar außerhalb der literarischen Konstruktion nicht einmal existiert (denn so ist das ja leider mit sprechenden Schafen, so sehr uns Wolle, Flocke, Kohle, Fixi und Huf auch schon ans Herz gewachsen sein mögen). [Anmerkung der Redaktion: Wie jetzt? Klar kenne ich die Schafe! 😉 ]

Wie funktioniert Literatur? Warum kann sie bei so viel Erfindung die Wahrheit sagen – und eine tiefere Wahrheit als jeder überzeugende Bericht? Eben weil sie gerade nicht von den Zuständen spricht, über die sie etwas sagen möchte. In den Wundersdorfer Sketchen steht nie irgendetwas über irgendjemanden aus unserer Gemeinde, nicht über den Pfarrer, nicht über den Herrn Dechanten – nichts.

Es werden Situationen in einer Parallelwelt geschildert, die Anlaß geben, über die Situation in unserer eigenen Gemeinde nachzudenken. Und indem man dies tut, fällt einem auf: Au Backe – GENAU SO! Genau so läuft das bei uns (Vgl. hierzu ebenfalls bereits hier.

Es ist diese unmittelbare Evidenz der Wahrheit, die die Leistung von Literatur ausmacht. Und da die Lesenden die Erkenntnis im Nachvollzug der geschilderten Situation selber gewonnen und erschlossen haben, sitzt diese Gewißheit der Erkenntnis tiefer, als es nach einer „Hast du schon gehört, was sie sich jetzt wieder geleistet hat/haben“-Erzählung der Fall sein kann. Daß dies bei den Wundersdorfer Sketchen insgesamt ganz gut gelingt, zeigt die oft große Freude derer, die wagen dürfen, über die kleinen Geschichten zu lachen – und leider auch die Intensität des Hasses derjenigen, die sich angegriffen fühlen.

Literatur regt zum Nachdenken an.

Die Lüge muß das Nachdenken unterbinden.

Das ist einer der großen Unterschiede zwischen den Erzählungen unserer „Gemeindeleitung“ und den Wundersdorfer Sketchen. Und da, wie gesagt, jeder Leser selber seine Erkenntnisse gewinnt, hilft nur das PuLa-Leseverbot, das folgerichtig zumindest in den beiden Marionettentheatern unserer Pfarrei auch längst ausgegeben wurde. Insgesamt erinnert die Reaktion von Gemeindeleitung und „Gemeindeleitung“ von Herz-Jesu Weimar auf die PuLa-Sketche an einen DDR-Witz:

***

Ein DDR-Bürger geht spät in der Nacht durch Ostberlin und ruft lauthals immer wieder: „Scheißstaat, Scheißregierung!“ Bald taucht ein Stasi-Offizier auf und verhaftet ihn. Der Mann will den Grund dafür wissen, der Mann von der Stasi erinnert ihn an seine lautstarken Äußerungen. Der Mann verteidigt sich und sagt: „Aber ich habe doch gar nicht gesagt, welchen Scheißstaat und welche Scheißregierung ich meine.“ Darauf der Stasioffizier prompt: „Es gibt nur einen Scheißstaat und eine Scheißregierung…“

***

Nun kann man Literatur natürlich auch falsch verstehen. Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil ist die literarische und künstlerische Interpretation nämlich keineswegs beliebig, sondern in der Regel gut begründbar – und deswegen kann sie eben auch mit Pauken und Trompeten daneben gehen.

Wie es jüngst dem „Elslein“ wieder passiert ist. Dann stellt sich die Frage, ob man nicht verstehen will, nicht verstehen kann oder nicht verstehen darf.

Letzteres betrifft leider geschlossen die Gruppe derer, die in unserer Gemeinde die (eigentlich für die offene Jugend- und Seniorenarbeit bewilligten und städtisch mitfinanzierten) Räume nutzen, Gruppen anbieten, in den Gremien sitzen (ja: „sitzen“, denn mitbestimmen fällt sowieso aus), Baldachine tragen, lektorieren oder Kommunion austeilen wollen. (Deshalb ist diese Gruppe auch mittlerweile recht klein – denn entweder ist den „Aufmüpfigen“ schriftlich die Erlaubnis zur ehrenamtlichen Arbeit entzogen worden, oder sie haben aufgrund des Klimas in unserer Pfarrei selber darauf verzichtet.)

Außer dem „Elslein“ natürlich. Denn das „Elslein“ ist ja eben genau die, die alles darf und jeweils bestimmt, was wer anders darf und was nicht.

Trotzdem hat das „Elslein“ jüngst einen Sketch falsch verstanden, also nicht verstehen wollen oder können, und uns das auch hingedrückt. Das war wieder ein besonders spannender Moment. Denn wenn etwas mit keinem Wort dasteht und jemand es trotzdem liest, spricht das natürlich Bände über die ureigensten Gedanken des Interpretierenden.

Schauen wir uns das genauer an: „Elses“ Zorn entzündete sich an dem Schafsketch „Unfrisiert“. Unfrisiert ist dabei Fixi, wie wir wissen selber ein Lämmchen und dem erwachsenen Schaf Flocke im Nichte-Tante-Verhältnis verwandtschaftlich verbunden.

Flocke schimpft Fixi aus, weil es ihr peinlich ist, daß Fixi so zerrupft in der Messe aufgelaufen ist, und nebenbei bekommt sein Fett weg, wen Flocke glaubt, sonst noch für den Vorfall mitverantwortlich machen zu können: das Lämmchen Huf. In ihrer Not suchen die beiden nach einer Ausrede bzw. verteidigen sich so geschickt, daß Flocke auf andere Gedanken und der Sketch auf ein weiteres Thema kommt. Ideengeber der Ausrede ist eine Stelle der gerade gehörten Predigt, ausgebaut wird sie mithilfe des von Kohle eingeworfenen Wörtlichnehmens einer feststehenden Redewendung: Daß nämlich jemand „nicht mehr in den Spiegel schauen kann“, weil er sich schändliches Handeln hat zuschulden kommen lassen oder solches aktiv und bewußt deckt.

Also: Fixi, das Lamm, ist unfrisiert. Nun schauen Sie, was das „Elslein“ daraus gemacht hat ( hier Nr. 6) eine „einmal mangelhaft frisierte stellvertretende Vorsitzende des Pfarrgemeinderates“. Faszinierend, nicht wahr? Jedenfalls haben wir jetzt eine Idee, wen der Herr Pfarrer gemeint haben könnte, als er die Predigt zur Oberweimarer Kirchweih zu der Behauptung nutzte, in unserer Gemeinde gäbe es Menschen, die würden andere verachten. PuLa kann er jedenfalls nicht gemeint haben, denn wir versuchen nach dem guten, alten katholischen Grundsatz zu verfahren, die Sünde zu hassen, den Sünder aber zu lieben; Verachtung paßt da gar nicht.

Außerdem könnten, wenn es unsereseits Haß gäbe, überhaupt keine Texte wie die Wundersdorfer Sketche dabei herauskommen!

Und damit komme ich zum zweiten Punkt, den ich auf die Vorwürfe des Eseleins, äh „Elsleins“ 😉 antworten möchte (vgl. hier, Nr. 7). „Seine Ehefrau läßt er in hasserfüllter Weise“ etc. Hm. Sollte das „läßt“ bedeuten, daß „Elslein“ denkt, solche Texte entstünden auf Bestellung? Dann ließe das nur die traurige Schlußfolgerung zu, daß das „Elslein“ noch niemals im Leben etwas Künstlerisches hervorgebracht hat. Kreativität läßt sich nämlich nicht bestellen. Texte wie diese Sketche sind entweder mit einem Schlag im Kopf da, weil sie einem „einfallen“ (der Ausdruck zeigt schon, daß unserer Sprachgemeinschaft eine Art Passivität als Ausgangspunkt des Schöpferischen immer bewußt war) – oder sie entstehen nicht!

[Anmerkung der Redaktion: Nur am Rande sei ergänzend erwähnt, daß in dieser Familie die Zustände auch nicht so sind, daß ich meine Frau irgend etwas „machen lassen“ könnte, was in diesem Kontext ja nichts anderes hieße als, ihr zu „befehlen“, irgendetwas zu tun. Mal abgesehen davon, daß ein solcher Versuch schwerlich von Erfolg gekrönt sein würde: Es ist eben vor allem gar nicht nötig…, vgl. Gen 2,24! 🙂 ; Weiter im Text:]

Auf Bestellung gibt freilich die Ansammlungen unzutreffender und plakativer Vorwürfe, wie sie uns 2012 in zwei unterschriebenen und zwei anonymen Briefen aus dem Kreis der Gemeindesenioren ins Haus flatterten (daß übrigens jetzt nach den Senioren auch Teenager vors Loch geschoben werden, wie der arme „Frosch aus Minsk“ (vgl. hier und hier), verschlägt vielen von uns allerdings den Atem!) – und nur Haß kann die fäkalsprachengesättigten Kommentare produzieren, die sich zuweilen im Emailpostfach meines Mannes finden (natürlich anonym und mit Einmaladresse gesendet). Die sind haßerfüllt. Die Sketche nicht. Daß an den Sketchen also die Kommunikation scheitern könnte, ist sicherlich die dreisteste Lüge des diesmaligen „Else“-Kommentars. Bekanntermaßen ist lange vor PuLa die Kommunikation von Seiten der Gemeindeleitung abgebrochen worden – mit mir gesprächsweise, mit meinem Mann schriftlich, aber am selben Tag.

Das werden sich all die lebhaft vorstellen können, denen es erging wie uns – selbst wenn sie sich zuvor bis zur Selbstverleugnung duldsam und kooperationsbereit gezeigt haben.

***

Um mit was Lustigem aufzuhören: Zu dem in Punkt 8 ) von „Elses“ Kommentar gemachten Vorwurf zum Thema Weltkirche, der uns in Freddy Froschs „schauen sie doch mal über ihren tellerrand“ induziertermaßen wieder begegnet, ist mir eine wunderbare Geschichte eingefallen. Ich will sie zum Abschluß erzählen.

Sie geht so:

 

Die Seefahrt

Ein Sketch für eine Person

 

(Beim Auf und Ab der Waage ist die Waagschale mit unserem Kirchenvorstandsmitglied eines Tages völlig aus der Welt hinausgeschleudert worden. Nun treibt die darin befindliche „Else Franke“ ohne Verbindung zu ihrer gewohnten Welt umher. Else klammert sich an den Rand ihrer Waagschale und blickt von Zeit zu Zeit zum Himmel, von Zeit zu Zeit aber auch ängstlich in die kobaltblaue Fläche, auf der sie scheinbar ins Ungewisse treibt. Da zeigt sich ein goldener Streifen am Horizont.)

Else: Hilfe!

Eine Stimme: Was ist, Else? Hab keine Angst!

Else: Da, dort vorn! Da ist die Welt zu Ende!

Die Stimme (lacht gutmütig): Aber Else! Das ist nicht das Ende der Welt – das ist bloß Lamers‘ Tellerrand.

Else: Was?

Die Stimme: Ja! Lamers‘ Tellerrand. So weit bist du noch nie gekommen, aber deshalb stürzt du jenseits des Tellerrandes nicht ins Bodenlose. Also: Fürchte dich nicht!

Else: Aber … aber … der Tellerrand vom Lamers – da hat er selber doch noch nie drüber ‘raus geguckt …

Die Stimme (lacht wieder): Else, Else (die Stimme scheint den Kopf zu schütteln) Aber selbstverständlich hat er das – soweit dies menschenmöglich ist. Denn wisse, du bist hier auf ein großes Geheimnis der kosmischen Logik gestoßen: Sobald man über seinen Tellerrand schaut, verschiebt dieser Tellerrand sich in die Ferne. Es verhält sich mit dem Tellerrand also etwa so wie mit dem Horizont auf den Weltmeeren. Man kommt nie hin – und du kannst deshalb beim Nachdenken auch nie ins Bodenlose fallen.

Else: Aber – wenn das mit dem Tellerrand so ist wie mit dem Weltenhorizont, dann – dann – dann kommt man ja, wenn man weit genug über den eigenen Tellerrand geschaut hat, wieder bei sich selber an?!

Die Stimme (lacht ein herzliches und gutmütiges Lachen): Das ist richtig, liebe Else! Du bist ein kluges Kind! Genauso ist es! Und so muß es sein. Was sollte man denn auch außer sich?

 

ENDE

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

PuLa-reloaded: Je öller je döller?

Manche der alten PuLa-Texte, der heutige erfuhr seine Erstveröffentlichung Ende September 2012, sind, schaut man sie heute erneut an, doch zeitgebunden. Teils reagieren sie auf damalige Weimarer Vorkommnisse, die heute nur noch von pfarrei-historischem Interesse sind, teils auf Geschehnisse in Deutschland oder der Welt, deren Aktualität mittlerweile verblaßt ist.
Und ja, mancher Optimismus der damaligen Zeit macht heute eher seufzen… 

Auf der anderen Seite finden sich aber neben den ohnehin “haltbaren” Sketchen (“was aber bleibet, stiften die Dichter”! 😉 ) auch unter meinen damaligen Hervorbringungen Texte, deren Anlaß  zwar vergangen sein mag, die aber dem Grunde nach an Relevanz nicht eingebüßt haben, zumeist leider nicht an Relevanz eingebüßt haben!

So auch die folgenden Bemerkungen zur “‘katholischen’ Journalistenschule” und älteren, bzw alten Priestern und wie sie es einem schwer machen können:

Nolite conformari…, oder: Je öller je döller?

Nolite conformari huic saeculo! Röm 12, 2

(Paßt Euch nicht dieser Welt an)

Leider wird dieser Beitrag weniger lustig, als ein Teil der Überschrift vielleicht vermuten läßt, denn er beschäftigt sich, aus mehr oder weniger aktuellem Anlaß, mit einer der vielen emotionalen Zumutungen (nicht nur aber besonders) in der real existierenden Kirche in Deutschland Anfangs des 21. Jahrhunderts.

Bei diesem Anlaß handelt es sich um einen Vorgang, den vor kurzem Dr. Alexander Kissler in seiner Kolumne in „The European“ aufgedeckt hat.

Da gibt es in München eine katholische Journalistenschule, ifp, „Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses“ geheißen,  richtiggehend in Trägerschaft der Kirche und gegründet durch die Deutsche Bischofskonferenz 1968.Was folgt, bestätigt den spontanen Verdacht, daß aus diesem annus horribilis kaum etwas Gutes kommen kann (Menschen, die in diesem Jahr geboren wurden natürlich ausgenommen!).

Haben sich doch dort 15 angehende Journalisten und ihre Trainerin (Expertin für „crossmedialen Journalismus“) als „Mitwirkende“ an einem Projekt zusammengefunden, das sich ausgeschlachtet, das Fleisch-Dossier“ nennt.  Der ästhetische Gesamteindruck ist m.E. durchaus geeignet, sensiblen Naturen auf den Magen zu schlagen und die Themenpalette ist, nun ja, breit angelegt: Vom Wurstquiz über den Bauchtanz bis zur vielversprechenden Überschrift: „Menschenfleisch als Dünger“ ist alles im Angebot und das „Rituelle Aufhängen“ ist wirklich vom Allerfeinsten! (Dabei, es sei ausdrücklich betont, gibt es aber auch wirklich solide gemachte und interessante Beiträge, z.B. hier, um die es schade ist, daß sie in diesem Umfeld erscheinen mußten)

Zweifelsohne der Tiefpunkt des Projekts war allerdings, was für Kissler der Ausgangspunkt seiner Anfrage an das kirchensteuerfinanzierte Unternehmen wurde, eine Reportage dreier junger Leute über einen Münchener Swingerclub. Dieses mittlerweile von der Site entfernte Machwerk („Der Artikel wurde zur redaktionellen Überarbeitung vorübergehend offline geschaltet. Wir bitten um Verständnis“)  halte ich nun wohlgemerkt nicht deshalb für anstößig, weil ich meinte, katholische (oder einfach nur christliche) Nachwuchsjournalisten dürften sich nicht mit Swingerclubs beschäftigen, doch, „dürfen“ sie, aber die schiere Beliebigkeit, in der diese Behandlung passiert ist, die scheinbar oder anscheinend vollständige Distanzlosigkeit zu dem, was ihnen dort begegnet ist, das Fehlen aber auch jedweder Fragestellung, die jenseits der bloßen Beschreibung zu einer wie auch immer gearteten Erhellung des Phänomens hätte beitragen können, das alles ist schon abenteuerlich und rechtfertigt Kisslers Fazit vollauf: „[…] scheint hier Kirche als Weltverdoppelungsverein in ihre letzte Phase eingetreten.“

Und so frage nicht nur ich mich, was sich eigentlich die Eltern der jungen Leute so denken werden über die Gesellschaft, in die ihre Kinder da geraten sind, vor allem aber, was sich unter solchen Bedingungen lernen läßt, was andernorts nicht auch, und dann wohl sogar „besser“, soll heißen „rücksichtsloser“, bzw. „vorurteilsfreier“ und was dergleichen Vokabeln der Beliebigkeit mehr sind, lernen ließe.

Nun mögen Sie sich fragen, warum erzählt er uns das alles noch einmal? PuLas Beitrag zur aktuell erneut aufgeflammten Kirchensteuerdiskussion ? Nein, der kommt noch, obwohl man sich in diese Richtung gerne seine Gedanken machen darf.

Und es sind auch nicht die Reaktionen bzw. Nicht-Reaktionen auf den Vorgang, aber die sollen immerhin kurz gestreift werden. Auf der Seite des ifp: „Nichts“ (wenn man von dem dürren Satz, den ich oben zitiert habe absieht). Immerhin gab es seitens des Leiters des ifp (ein Priester…) eine persönliche Stellungnahme an Dr. Kissler, immerhin! Von Seiten der DBK? Das übliche dröhnende Schweigen und ob es Thema im Rahmen der Herbstvollversammlung wird, werden wir im Zweifelsfall nicht erfahren.

Und warum auch mögen sich manche dortigen „Strategen“ fragen, denn auch die medialen Reaktionen waren erstens ausgesprochen flau und paßten zweitens jedem ins Konzept, der Menschen wie Kissler für bloße Störenfriede auf dem Weg der deutsch-national-kirchlichen Selbstverwirklichung unter weitestgehendem Ausschluß der (kirchensteuerzahlenden) Öffentlichkeit hält.

Immerhin bat in „Christ und Welt“ die Redaktionsleiterin, Dr. Christiane Florin Kissler zum Interview über das Thema. Doch die Gesamtseite stand dann unter der Überschrift: „Wieviel Moral braucht der Sex?“ (hier, dazu gehörten im Print die Texte unten von Kissler und „Spirituell brisant“) und darum ging es eben diesmal gerade nicht. Sondern um Beliebigkeit oder Profil. Frau Florin hält aber lieber Dr. Kissler „ethisch fragwürdiges Verhalten“ vor, weil er drei junge Journalisten “vorführe“. Ok, das kennen wir ja auch aus Weimar zur Genüge: „Shoot the Messenger“  lautet das Motto, wenn einer unbequeme Wahrheiten ausspricht und diese Verhaltensweise ist immerhin wirklich richtig alt…

„Alter“ ist übrigens das Stichwort für das, worauf ich eigentlich hinauswill.

Aber zunächst, was tut der Netz-affine Mensch, wenn er einem solchen Geschehen begegnet? Er durchsucht die Homepage der Institution, um die es geht. Da stößt man dann z.B. auf den Aufsichtsrat des ifp  (auch mit hochkarätigen Journalisten aus Thüringen…) vor allem aber auf die Seite: „Unser Selbstverständnis“ .

Nach der Lektüre dieser Seite habe ich mich über nichts mehr gewundert. Leider. Sie besteht aus einer Ansprache von P. Dr. Wolfgang Seibel SJ, dem ersten Direktor des ifp. Überschrift: „Über den kirchlichen Charakter des ifp“:

„Es (sc. das ifp) soll also ein Stück lebendige Kirche erfahren lassen. Glaube wird ja nicht durch Belehrung und Wissensvermittlung geweckt. (sic!)

Glaube kann nur wachsen in einem Raum der Mitmenschlichkeit, der Freiheit, der Offenheit, des Vertrauens […]. Dem Glauben als einer in freier Entscheidung übernommenen Lebensform widerspricht ja jeder Versuch der Indoktrinierung, jede Art von Druck, Disziplinierung oder gar von Zwang.

Zum kirchlichen Charakter des Instituts gehört es auch, daß es keine bestimmte innerkirchliche Richtung vertritt oder favorisiert, sondern offen ist für die Vielfalt christlicher Glaubens- und Lebensstile. Alle, die in der großen Kirche Platz haben, sollen auch im Institut Platz haben – vorausgesetzt allerdings, daß sie dialogfähig sind, das heißt, daß sie ihre eigene Meinung nicht absolut setzen und nicht als die christlich und kirchlich allein mögliche hinstellen.“

Und weiter:

„Als Journalisten haben Christen keine andere Aufgabe und keine anderen Normen als die Kolleginnen und Kollegen, die von einer anderen Welt- und Lebensanschauung herkommen. Auch die ethischen Normen sind für alle gleich, weil sie ja in der unveräußerlichen Würde des Menschen und seinen Grundrechten wurzeln.“

Mit anderen Worten: Beliebigkeit und Lehramtsferne als Programm von Anfang an. Die Anpassung an die Welt wird offensiv verteidigt, und man zitiert dabei auch noch den Hl. Apostel Paulus. 🙁

Ok, der Tenor dieser Ausführungen ist uns ja allen seit mindestens 50 Jahren wohlvertraut, aber es scheint mir doch, als sei es nachgerade eine Karikatur jesuitischer Rhetorik („Die Kuh hat drei Beine! (Mindestens.)“), die explizite Absage an jede kirchliche Bindung, die diesen Namen verdient, als „kirchlichen Charakter“ zu deklarieren.

Und so fragen wir weiter: Wer ist Wolfgang Seibel SJ? Insider werden nun schmunzeln, denn ihnen ist natürlich bekannt, daß es sich um den langjährigen Leiter der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ handelt. Über deren Profil muß hier vermutlich kein Wort verloren werden, aber wer möchte kann hier das aktuelle Editorial aus der Feder des Nachfolgers von W. Seibel lesen: A.R. Batlogg SJ, „Ist das Konzil schuld?“. Man stößt dabei auf einen wenig subtil bemäntelten „Konzil, Konzil über alles“ Text (incl. dem Gespenst „Geist des Konzils“, dessen Erbe auf dem Spiel stehe…), mir scheint, die jesuitische Kunst der dialektisch verschlungenen Agitation war schon mal auf höherem Niveau. 😉

Und Pater Seibel (nach dem mittlerweile der Preis für Nachwuchsjournalisten des ifp benannt wurde) ist eben auch ein glasklarer Vertreter der romfernen Theologie der „Hermeneutik des Bruchs“, handlich nachzulesen z.B. hier in einem langen Interview mit br alpha aus dem Jahr 1999.

Kostproben gefällig?

„[…] denn die ganze Situation in der Kirche war eine Situation des Unterdrücktseins. Man hatte den Eindruck, dass alles unter dem Deckel gehalten würde. […] Schon damit hatte man den Eindruck, dass jetzt eine Epoche der Kirchengeschichte abgeschlossen ist.“

oder:

„Das Schlimme ist dabei, dass Rom wieder bestimmt, was Lehrfragen sind. Wenn ich Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz anschaue, z. B. die berühmte Königsteiner Erklärung, die 1968 nach der Enzyklica Humanae Vitae zum Thema Empfängnisverhütung erschien: Sie wäre unter diesen Voraussetzungen nicht mehr möglich.“ (Hervorhebungen von mir)

Ich glaube, mehr ist zur Charakterisierung der Richtung nicht erforderlich, oder? Der traditionelle Katholik weiß, welcher theologischen Richtung der Mensch, mit dem er es zu tun hat, anhängt und wendet sich mit Grausen.

Nun ist aber Pater Seibel auch ein „älterer“ Herr (Jg. 1928). Sohn eines Zentrums-Abgeordneten. Und er ist Priester.

Und was möchte der traditionelle Katholik, wenn er es mit einem über 80-jährigen Geweihten zu tun hat? Er möchte mit Hochachtung, ja Liebe und Verehrung zu ihm aufschauen.

Geht aber nicht.

Das gleiche Phänomen haben wir im Urlaub erlebt: Ein ähnlich alter und schon gebrechlicher Priester (auch ein Jesuit, aus Amerika, der seit Jahrzehnten seine Urlaube in Österreich verbringt, Name bekannt, tut aber ja hier nichts zur Sache) wird, zu Mariä Himmelfahrt, an den Ambo geführt und dann folgt eine Predigt, die, ich kann es nicht sanfter sagen, vom gewöhnlichsten allgemeinen Heilsoptimismus durchdrungen war.

Essig war’s mit der Bereitschaft zur Verehrung.

Das ist das, was man eine „Frustration“ im strengen Sinne des Wortes nennt, eine enttäuschte Gefühlserwartung. Und wer immer sich regelmäßig aufregt und sich fragt, warum denn Traditionalisten gelegentlich so aggressiv unterwegs sind, findet hier einen Grund. Ja, ich empfinde es tatsächlich als persönliche Zumutung, sogar Kränkung, immer wieder das Alter nicht ehren zu können. Und ich bekenne mich dazu, daß mich das wütend macht. Ich möchte nicht über 80-jährige Priester kritisieren müssen, das schmerzt mich!

Freilich, es gibt keine Wahl. Ich würde ja auch nichts von liturgischen Einzelheiten wissen wollen, wenn man sich denn darauf verlassen könnte, daß immer alles in Ordnung ist. Wir wissen aber, das ist nicht der Fall. Ebensowenig wie eben Predigten und Texte über 80-jähriger Ordensleute in Ordnung sein müssen.

Die schmerzliche Verwirrung, die hier um sich gegriffen hat, ist eines der üblen Zeichen der Zeit, dieser ver-rückten Zeit nach der Moderne, die sich ihrerseits ja schon so viel darauf zugute getan hat, gerade hinsichtlich der natürlichen Empfindungen keinen Stein auf dem anderen lassen zu wollen.

Sie mögen einwenden, die Betrachtung sei sehr einseitig. Das stimmt.

Daher plädiere ich auch dafür, die umgekehrte Blickrichtung zumindest zu versuchen. Ich kann mich den Seibels dieser Welt (es gibt ihrer ja gar viele!) durchaus empathisch nähern. Ja, ich kann mir vorstellen, daß es ein sehr unschönes Gefühl ist, wenn man in der Jugend sozusagen „auch seine Revolution“ („Das Konzil“) hatte (alle anderen redeten ja auch von so was!) und die war edler und schöner als die der anderen (und das war sie ja nun auch wirklich) und nun reden auf einmal jüngere, viel jüngere, Menschen (fast) wie die Gegner von damals und das, was der „Geist“ der Veranstaltung gebracht hatte (und noch bringen sollte), das wird nun langsam wieder abgebaut. Die ganze Stimmung hat sich gedreht, auf die hoffnungsvollen „jungen“ Kirchen in der sog. Dritten Welt ist auch kein Verlaß mehr (sondern sie entdecken den Wert der Mundkommunion) usw. usf.….

Ganz ehrlich, ich kann mich hineinfühlen in einem Menschen, den das Gefühl beschleicht, die Grundkoordinaten seines intellektuellen Lebens, vor allem das Dogma der einlinigen Entwicklung, des „Fortschritts“, wie sie es nannten, stimmen nicht mehr. Solche Menschen verdienen unser Mitgefühl.

Nur sollte das Bemühen eben kein einseitiges sein. Wolfgang Seibel macht in dem Interview vor, wie es nicht geht, wenn er (1999!) unsereinen zur „untergehenden Art“ erklärt und Katholiken, die ihr weltkirchlich verbrieftes Recht auf eine unverkürzte Liturgie verteidigen, zu „Denunzianten“ erklärt. Schade.

Und schlußendlich: Empathie ist kein Ersatz für Aufrichtigkeit. Die kann schmerzhaft sein, aber es geht ja auch um was. Es geht um – Alles!

Und so sehe ich, durchaus traurig, am Ende dieser ein wenig länglichen Ausführungen leider nicht, wie auch künftig der Schmerz, Priester mit weißem Haar zu kritisieren, vermieden werden könnte.

Allein gilt:

Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben. (Mk 10, 29 f.)

Amen!

 

Gereon Lamers

PuLa reloaded: Die Marketingbewerbung

Als dieser Sketch im April 2019 erstmals erschien hätten wir uns kaum träumen lassen, welch im Wortsinne weltweiter Aufmerksamkeit die Person, die er kritisiert, sich gut zwei Jahre später, naja, ‘erfreut’. Aber es ist ja wirklich so: Das Theater um Kardinal Marx und sein ebenso sorgfältig inszeniertes, wie immer noch hinsichtlich der Motivationslage höchst intransparentes Rücktrittsangebot beschäftigt die ganze katholische Welt.
Den Ausgang halte ich ungeachtet der päpstlichen Reaktion allerdings für offen.

Wichtiger und vor allem zukunftsweisender wäre es, sich mit den Inhalten des folgenden Textes zu befassen!

GL

Enjoy! 🙂

Ein Sketch zum ‘Osterlachen’ für vier Personen

Irgendwo in den Vororten einer süddeutschen Metropole. An einem Besprechungstisch sitzen zwei Personen, eine sehr gepflegte Dame undefinierbaren Alters und ein junger Herr. Sie sind in ein intensives Gespräch vertieft. Vor den beiden liegen stapelweise Unterlagen und Bewerbungsmappen. Außerdem steht ein betriebsbereites Notebook auf dem Tisch. Gesprächsfetzen kann man entnehmen, daß es um die Beurteilung dieser eingereichten Unterlagen geht – und daß man sich offenbar in der Marketingabteilung eines renommierten Autoherstellers befindet.

Die Dame: Was sagen Sie denn zu dem hier? (Sie blättert eine der Mappen auf.)

Der Herr: Eine Frechheit! (Er schnaubt und wirft den Kugelschreiber auf den Tisch.) Womit wir hier unsere kostbare Zeit vertun!

Die Dame: Das dachte ich im ersten Moment auch … aber es ist so irre, daß ich ein zweites Mal draufgeschaut habe. Irgendwas ist damit los. Ich werde nicht ganz schlau daraus. Aber graphisch ist es jedenfalls nicht uninteressant.

Der Herr: Das will ich Ihnen gerne zugestehen. Aber mit Verlaub – wir haben eine Stelle in der Werbung für unser Unternehmen ausgeschrieben. Und was liefert dieser … dieser …

Die Dame: Herr Anderlechner.

Der Herr: Dieser Herr Anderlechner? Haben Sie sich das Video angesehen, das er mitgeschickt hat? (er entnimmt der Bewerbungsmappe einen Stick und schiebt ihn – zunächst falschrum – in den USB-Stecker des Notebooks.)

Die Dame: Selbstverständlich. Köstlich! Geradezu Anti-Werbung. Die reine Satire! Ich frage mich, was dahinter steckt. Schlecht gemacht ist es nicht – der Mann hat zweifellos Talent!

Der Herr (während er im Dateimanager nach dem Film auf dem Stick sucht): In seinen Texten schlägt er vor, die Kunden sollten sich unbedingt den Produkten unserer schärfsten Konkurrenz zuwenden. Ist der Mann noch bei Trost?

Die Dame (blättert): Ja – köstlich, nicht wahr? Hier: Es sei doch vollständig gleichgültig, welches Auto man fahre, Hauptsache, man komme ans Ziel. (Sie lacht.) In großen Lettern (sie zeigt ihrem Kollegen das Blatt.)

Der Herr (hat sich nun doch auf eine Revue dieser Unterlagen eingelassen): Es kommt ja noch besser: Er sei gegen die Bezeichnung „Autobranche“. Das schließe ja die Fußgänger und Radfahrer aus. Man solle gefälligst ganz genderneutral nur noch von „Verkehrsteilhabe“ sprechen.

Die Dame (lacht): Und außerdem – immer diese Autos. Er könne gar nicht verstehen, warum so viele Menschen sich dafür begeistern. Man solle in der Werbung den Chef lieber bei der Gartenarbeit, als mit einem schicken Auto zeigen.

Der Herr (bringt nun den Film ans Laufen): Hier! Der Chef fährt auf den Hof der Konkurrenz und klebt kurz vor dem Werkstor den Stern auf der Kühlerhaube ab! (Man sieht die entsprechende Sequenz auf dem Display.)

Die Dame: Wo hat der Mann eigentlich vorher gearbeitet?

Der Herr (zieht den Lebenslauf aus der Mappe und prustet kurz los): Ha! Beim Erzbischof von München und Freising!

Die Dame: Bei Kardinal Marx?

Der Herr: Genau dem!

Die Dame (wirft die Mappe flach auf den Tisch und lehnt sich zurück): Ich finde, wir sollten ihn unbedingt mit einladen. Der Mann hat Potential, das spüre ich.

(Es klopft heftig an die Tür des Besprechungsraumes.)

Die Dame (laut) Herein!

Ein Angestellter (steckt den Kopf zur Tür herein): Entschuldigung – aber einer der Bewerber läßt sich nicht abwimmeln – er sagt, er muß Sie unbedingt sprechen, es gehe um die Abgabe der Bewerbung.

Die Dame: Die Fristen sind abgelaufen. Er kann derzeit nur eine Initiativbewerbung einreichen.

Der Angestellte: Wenn ich es richtig verstanden habe, liegt Ihnen die Bewerbung bereits vor.

Die Dame: Was will er dann? Lesen können wir schon selber. Er bekommt Ende Juni Bescheid wie alle andern auch.

(Ein junger Mann drängt sich hinter dem Angestellten in den Türrahmen)

Der junge Mann: Entschuldigung! Anderlechner mein Name. Ich habe aus Versehen die falschen Unterlagen eingereicht – es ist ein unverzeihliches Mißgeschick …

Die Dame: Herr Anderlechner! Sie kommen ja wie gerufen. Wenn es auch unüblich ist, hier so reinzuplatzen. Wie sind Sie überhaupt ins Haus gekommen? Sie haben keinen Termin!

Herr Anderlechner: Wenn ich Ihnen nur ganz kurz meine eigentliche Bewerbungsmappe einreichen … Herzlichen Dank! (Er eilt zum Besprechungstisch, legt eine dunkelblaue Mappe auf den Tisch und wendet sich zum Gehen.)

Die Dame: Aber Herr Anderlechner! Nicht so hastig! Ich sagte doch – wir wollten uns ohnehin mit Ihnen unterhalten.

Herr Anderlechner: Mit mir? Aufgrund der irrtümlich eingereichten Skizzen?

Die Damen (blättert in den ursprünglichen Unterlagen): Skizzen? Ich finde die Ideen schon recht ausgereift – nur klingen sie eher wie eine Satire, eine Kritik, als wie direkte Werbung. Aber vielleicht ist das die Zukunft?

Herr Anderlechner: Nein, nein, das ist nicht die Zukunft, ich bitte um Verzeihung. Es handelt sich um Skizzen, die ich meinem derzeitigen Chef vorlegen wollte.

Die Dame: Dem Herrn Kardinal?

Herr Anderlechner: Ja.

Die Dame (muß lachen): Und was, bitte schön, sollte Kardinal Marx mit dieser Zeichnung hier anfangen? Was soll das überhaupt darstellen? Ich kann fast nichts erkennen!

Das Sammellogo des Herrn Anderlechner (eigenes Bild)

Herr Anderlechner: Das? Sieht man das gar nicht mehr? Das sind die Logos oder Signets der großen Autohersteller – alle übereinander gemalt. Eine Art Sammellogo für das Auto schlechthin.

Die Dame: Ah! Ja! Renault kann ich entziffern. Und das Blau von BMW kann ich erkennen. Unser Stern geht leider vollständig im Gemuschel unter! (Sie runzelt die Stirn.)

Herr Anderlechner: Ja, es sind die Signets von Audi, VW, BMW, Mercedes, Opel, wie Sie schon sagten Renault, Škoda, Fiat …

Die Dame (unterbricht ihn): Ah! Daher hier auch noch das Rot! Und als Hintergrund haben Sie dann noch das Thüringer Wappen gelegt?

Herr Anderlechner: Das…? Nein. Das ist der Löwe von Peugeot.

Die Dame (lacht): Köstlich! Alles wird ein Einheitsbrei! Und noch nicht mal ein Japaner dabei.

Herr Anderlechner: Nein, überhaupt kein Asiate dabei. Das hier reicht schon.

Die Dame: Und diese scheußliche Farbe …

Herr Anderlechner (lacht auf): Ja – Sie wissen ja, wenn man nicht die einzelnen Farben als reines Licht zum Strahlen bringt, sondern subtraktiv mischt wie hier, ergibt sich aus den Regenbogenfarben nicht reines Weiß, sondern eine ganz trübe Brühe.

Die Dame: Und was um alles in der Welt sollte ihr bisheriger Arbeitgeber damit anfangen?

Herr Anderlechner: Ich … es war … viele Gläubige … sogar der eine oder andere seiner Kollegen hat ja bereits … (ausbrechend) ich konnte einfach nicht mehr tatenlos zusehen, wie …

Die Dame (zieht eine Augenbraue hoch): Geht es auch in ganzen Sätzen?

Herr Anderlechner: Verzeihung, selbstverständlich! Seit einiger Zeit schon kritisieren nicht nur einfache Gläubige – aber diese auch – die ewige Politisierung der Verkündigung, nicht nur beim Herrn Kardinal. Nun ist aber seine explizite Wendung gegen den Begriff des christlichen Abendlandes hinzugekommen. Auch mit dem Abnehmen des Kreuzes auf dem Tempelberg …

Der Herr (unterbricht ihn): Ah! Das ist das Abkleben des Mercedessterns vor dem Werkstor von BMW … (er lacht und sucht die Stelle im Video, um sie erneut abzuspielen).

Herr Anderlechner: Exakt! Sie haben es verstanden!

Die Dame: Und mit dem Sammellogo wollten Sie zeigen, daß man schlicht gar nichts mehr erkennt, wenn man nur lange genug vergleicht, übereinanderlegt und alle Unterschiede abzieht.

Herr Anderlechner (erleichtert): So ist es!

Die Dame: So ganz verstehe ich dennoch nicht, was Ihr Chef daraus hätte lernen sollen …

Herr Anderlechner: Mein Chef ist Kardinal. Ein Oberhaupt der katholischen Kirche. Durch die – zugegebenermaßen gewagte – Parallelisierung von Kirche und Ihrem Unternehmen wollte ich verdeutlichen, daß er für die Sache werben muß, der er selber vorsteht. Mercedes macht ja auch nicht Werbung für BMW. Das macht ja auch BMW schon selber.

Der Herr: Die Gläubigen müssen von ihren Priestern und Bischöfen das Rüstzeug erhalten, um in der Welt von ihrem Glauben zu erzählen? Genauso, wie unsere Kunden aus unserer Beratung erfahren müssen, warum sie sich für eines unserer Produkte entscheiden sollen?

Herr Anderlechner: So ist es.

Die Dame: Aber – jetzt mal ehrlich: (Sie zögert) Glauben Sie wirklich, Ihr Chef hätte Ihre Anspielungen verstanden? Und noch dazu produktiv umgesetzt?

Herr Anderlechner (unsicher): Ich kann es Ihnen nicht sagen. (zerknirscht) Nein, vermutlich nicht … Meine Freundin hatte auch Zweifel …

Die Dame: Eine kluge Frau, Ihr Freundin! Wissen Sie was? Vergessen Sie Ihren jetzigen Arbeitgeber und kommen Sie zu uns! Ich finde, Sie haben das Zeug dazu. Und bei uns werden gute Leute nicht verheizt! Wir wissen, daß gute Mitarbeiter unsere wichtigste Ressource sind.

ENDE

Cornelie Becker-Lamers

Der Sketch entstand Mitte/ Ende Januar 2019, nachdem ich mich nach einer Messe sehr nett mit einem Gemeindemitglied über die Politisierung in der Kirche unterhalten hatte. Ihm sei dieser Text gewidmet. CBL

 

Die Neutralisierung der Schiefertafel

oder Von der Unlust, die Angst zu nehmen

Vor sechs Wochen hatten wir Ihnen die Herz-Jesu-Weimar-Variante der derzeit in deutschen Kirchengebäuden errichteten Klagemauern vorgestellt. Unserer Klagemauer hier ist eine Schiefertafel im Wortsinne zur Seite gestellt, auf der bis etwa Anfang Juni die Sterbedaten Weimarer ‚Coronatoter‘ (also mit oder an oder lange nach …) verzeichnet waren. Die Liste begann mit einem recht isolierten Datum Mitte November, hatte dann erschreckend viel in der Advents- und Weihnachtszeit aufzuzählen und endete mit dem 18. Februar 2021. Von den 96 bis Mai 2021 an oder mit oder nach einer Coronainfektion Verstorbenen deckte die Schiefertafel in Herz Jesu 90 Daten ab. Das heißt, man konnte nachvollziehen, was HNO-Ärzte seit April 2020 predigten: Daß der seit langem bekannte Coronavirus ein saisonaler Virus ist, der im Winter die Menschen infiziert und dann in der Wirkung bis zum nächsten Herbst abklingt. Das konnte man der Tafel ablesen. Das beruhigende Faktum wurde in Herz Jesu Weimar wirklich veranschaulicht.

PuLa riet, auch die fehlenden sechs Daten zu ergänzen, um den zeitlichen Abstand der Sterbedaten noch sinnfälliger zu machen und den Menschen die Angst zu nehmen. Denn es gibt immer noch welche, die eine ganz diffuse Angst vor dieser Krankheit haben – eine Angst, die eben genau die über lange Zeit vorherrschende Medienberichterstattung spiegelt.

Man entschied sich in Herz Jesu Weimar leider anders. Statt die aufschlußreiche Tafel zur Beruhigung der Menschen stehen zu lassen oder den Fakten entsprechend zu ergänzen, ersetzte man die konkrete Datenliste durch eine Strichliste, die nun gerade keinerlei Aufschluß über Häufung der Todesfälle und das Abklingen der Gefahr mehr zuläßt. Schauen Sie:

Die Schiefertafel aus der Klagemauer-Installation in Herz Jesu Weimar, Variation 1 (eigenes Bild am 3. Juni 2021)

Seltsam – nicht wahr? Wie hier auch Vertreter der katholischen Kirche sich dafür entscheiden, Dramatik eher aufrecht zu erhalten als Angst zu nehmen. 🙁

Cornelie Becker-Lamers

PS: „Fürchtet Euch nicht!“ ??!! Da war doch mal was… Außerdem schreitet mit dieser Darstellung die Entpersönlichung der Verstorbenen noch weiter fort. So KANN kein gelingendes Gedenken organisiert werden, weder kirchlich, noch staatlich, noch, was am allerschlimmsten ist, in den eigentümlichen Mischformen, die nicht zuletzt der Vorsitzende der DBK jüngst immer wieder propagierte. Erst, wenn wir uns wieder „trauen“, uns auf eigenes zu besinnen, um es dann auch zu TUN, werden wir wieder wahrgenommen werden.

Gereon Lamers

PuLa-Reloaded: Osterlachen – Mit Stern!

Dieser kleine, von uns völlig “harmlos”, ganz ohne tieferen Hintersinn und einfach nur lustig gedachte Text aus dem April 2013 hatte gänzlich unerwartete Konsequenzen!

Aber die schildere ich Ihnen erst in einem PS; vorher viel Spaß mit:

Osterlachen – Mit Stern!

Anders als im vergangenen Jahr ist das Osterlachen auf PuLa heuer weniger innerkirchlich als historisch/gesellschaftspolitisch.

Viel Spaß! (bevor wir uns, mehr nolens denn volens, vorrübergehend unangenehmeren Themen zuwenden müssen…)

Verwaltungssitz des Kreises Weimarer Land ist Apolda, ein häufig zu Unrecht unterschätztes Städtchen mit bemerkenswertem kulturellem Leben und im kirchlichen Zusammenhang interessant aufgrund seiner großen Vergangenheit im Glockenguß!

Wenig überraschend ist das Autokennzeichen des Kreises „AP“.

Und erinnern Sie sich noch an die „Außerparlamentarische Opposition“? Eines der ganz besonders problematischen Phänomene der an solchen nicht armen 60er Jahre, abgekürzt „APO“. Ihren Höhepunkt hatte diese „Bewegung“ nach allgemeiner Meinung im emblematischen Jahr 1968.

Ahnen Sie schon, worauf das hinausläuft? Genau, auf das Autokennzeichen AP-O 1968.

Und das gibt’s tatsächlich:

Kennzeichen aus Apolda, 2013 (eigenes Bild)

Als ich das sah, dachte ich zuerst: „Ich hätte mich ja eher mit dem Landrat duelliert, als dieses Kennzeichen zu akzeptieren! Ob sich der Halter nichts dabei gedacht hat?“

Aber das ist ja fast unmöglich!

Doch der zweite Blick offenbart: Der oder die Betreffende scheint ein Mensch von beträchtlicher Coolness zu sein!

Schauen Sie nur:

Kennzeichen mit Stern (eigenes Bild)

Das Kennzeichen befindet sich auf einem Mercedes! Einem schwarzen Mercedes!! Einem sauberen schwarzen Mercedes!!!

Arme Achtundsechziger…

Aber so ist das: The Times, they are a‘changing!

Gereon Lamers

 

PS: Ja, so hatten wir geschrieben und kurz darauf – war das Fahrzeug nicht mehr zu sehen!
Ehrlich, das Auto, das vorher über mehrere Monate hinweg zum Wochenende regelmäßig dort gestanden hatte (und von uns auf dem regelmäßigen Weg zur Kirche bemerkt worden war), war und blieb verschwunden! Einfach weg.
‘Soll mal keiner sagen, so ein Blog könne in der „realen Welt“ nichts bewegen’ haben wir uns damals gedacht und uns gelegentlich die Fähigkeit, ‘Autos wegzuzaubern’ späterhin wieder gewünscht 😉

GL

 

PuLa Reloaded: KaSchafüRüalProwe

Anläßlich des morgigen Fronleichnamsfestes, dessen Feier und Prozession wir hier in der Diaspora mal wieder auf den kommenden Sonntag verlegen müssen, präsentieren wir als Reload diese Woche einen kleinen Sketch, der den Erhalt alter Traditionen und wenn nötig den Wiedergewinn angestammter Bräuche, Wege und Sichtbarkeiten thematisiert.

 

Sketch des Monats: KaSchafüRüalProwe

Klar! Es gibt sie noch, die Wundersdorfer Schäfchen. Wir haben nur eine lange, für uns dadurch sehr entbehrungsreiche Zwischenzeit hindurch nicht von ihnen berichtet. Aber selbstverständlich waren sie immer da, in der Nähe von Wundersdorf, und wie wir gleich hören werden, haben sie auch schon wieder jede Menge geforscht und herausgefunden. Zum gestrigen Pfarrfest zu Mariä Namen machten sie unter einem strahlenden Septemberhimmel von ihrem neuerworbenen Wissen Gebrauch. Lassen Sie sich also entführen in die Welt der katholischen Pfarrei Maria Hilf! Wundersdorf in einem endlich wieder geposteten:

Sketch des Monats: KaSchafüRüalProwe

Ein Sketch für zwei Personen, zehn bis zwölf Schafe, zwei Lämmchen
und beliebig viele Schafstatisten

 

Wundersdorf, Oderbruch. Am Haus der Familie Langenfeld. Eine kleine, uns wohlbekannte Herde Schafe kommt, lässig, wie wir es von ihnen kennen, die Straße entlang geschlendert und bleibt etwas unschlüssig vor dem Haus stehen. Als alle Schafe sich in der kurzen Auffahrt zum Haus drängen und es langsam wirklich eng wird, erheben sich erste Stimmen, die die Situation thematisieren und auf eine Lösung drängen.

Ein Schaf: Und jetzt?

Ein anderes Schaf: Da steht ja ein Haus.

Ein drittes: Wie kommen wir denn jetzt weiter?

Das erste (etwas patzig zu Kohle): Damit wäre unser Projekt wohl gestorben.

Kohle: Immer mit der Ruhe!

Fixi (bahnt sich einen Weg durch die Menge nach vorn): Das Haus kenne ich!

Huf (drängelt Fixi hinterher): Da wohnt Teresa.

Fixi: Ich denke, da können wir einfach klingeln.

Die Schafe (durcheinander): Wir sollen irgendwo klingeln? – An einem Wohnhaus klingeln? – Wenn du dich traust, bitte! – Ich hatte gedacht, wir marschieren überall einfach durch. – Schließlich sind es unsere angestammten Wege!

Flocke: Ruhe! (Die Schafe beruhigen sich.) Ich mach das. Ich geh jetzt die paar Stufen da hoch und sehe mal, was ich machen kann.

(Unter den gebannten Blicken der restlichen Herde springt Flocke die Stufen zur Haustür hinauf und drückt mit der Schnauze einen breiten Klingelknopf. Dann kraxelt sie vorsichtig die Stufen wieder hinab und stellt sich erwartungsvoll zu den anderen.

Edith steckt den Kopf zur Tür hinaus, erschrickt und schlägt die Tür sofort wieder zu. Nach einer kleinen Weile schaut sie erneut, ob die Schafe noch da sind.)

Edith: Was macht ihr denn hier?

Die Schafe (durcheinander): KaSchafüRüalProwe – Dein Haus steht im Weg! – Wir wollen hier durch. – Es ist unser angestammtes Recht!

Edith: Waswaswaswaswas? Nicht alle durcheinander – ich verstehe ja kein Wort. Blütenweiß, sag du mal. Wie kann ich euch helfen?

Blütenweiß (errötet – wie immer – sofort): Guten Tag, Edith … also … wir hatten … das war … zu Fronleichnam hatte das Wildschaf … (rasch) wir haben den Film alle gesehen, und da kam die Idee auf … und wir dachten, wann, wenn nicht zum Gemeindefest …

Ein viertes Schaf: … und jetzt steht da euer Haus und wir kommen nicht weiter!

Edith (schaut sich um): Wo steht unser Haus?

Die Schafe: Na hier! – Auf unserem Weg.

Edith: Was für ein Weg? Kann mir mal jemand erklären, wo ihr hinwollt und warum?

Wolle: Also. Das Wildschaf hatte mal wieder (wie hier und hier) einen Vortrag vorbereitet. Zu Fronleichnam. Zum Thema alte Prozessionswege und –verläufe. (Mit wachsender Begeisterung) Da konnte man Schafe sehen, die durch Madrid laufen. Das ist dort ganz normal.

Ein Schaf: Und wir dachten, wir müssen auch unsere alten Wege wieder erobern.

Ein anderes Schaf: Um auf uns aufmerksam zu machen.

Ein drittes Schaf blökt: KaSchafüRüalProwe! KaSchafüRüalProwe!

Andere Schafe: Pssst! – Is‘ ja gut!

Edith: Ja … und jetzt?

Kohle: Jetzt müßten wir bitte durch euer Haus gehen. (Nach einer Kunstpause) Das ist alles.

Edith: Ihr? Dreckig wie ihr seid? Durch mein Haus? Und hinten durch meine Blumenbeete? Ihr habt sie wohl nicht alle! Trollt Euch! (Sie wirft die Tür ins Schloß.)

Die Schafe sehen sich betroffen an.

Flocke (seufzt): Jaja, so ist das immer. Von weitem finden sie uns total süß, aber wenn wir vor ihrer Haustür stehen, wollen sie uns nicht reinlassen.

Curly: Das ist aber in England nicht anders!

Die Tür öffnet sich und Teresa kommt herausgestürmt. Edith tritt auch wieder hinter ihr in den Türrahmen und bleibt dort stehen.

Teresa (zu Fixi und Huf): Da seid ihr ja! (Sie umarmt die Lämmchen.)

Flocke (befriedigt): Nun – es gibt eben auch solche.

Teresa (zu ihrer Mutter gewandt): Mama, laß die Schäfchen doch durch, es ist ein uralt verbrieftes Recht, daß sie hier ihre Weidegründe haben.

Edith: Wann kommt das Winnetou-Thema aus dem Off?

Teresa: Ach, Mama!

Edith: Ich will erstmal wissen, was das für ein Film ist, den ihr gesehen habt.

Kohle: Ist im Netz!

Flocke: Ist nur ganz kurz.

Wolle: Wir haben ihn damals dreiundzwanzigmal hintereinander geguckt.

Edith: Ok, dann kommen jetzt mal drei von euch rein und zeigen mir die Ursache eures Erweckungserlebnisses auf dem Bildschirm!

Kohle macht sich konzentriert auf den Weg zur Haustür.

Edith (versperrt ihm den Weg): Kohle, du könntest in der Zeit gut mal dafür sorgen, daß hier ein bißchen Rasen gemäht wird!

Kohle (verdattert): Rasen gemäht?

Fixi (gewahrt die Restbestände an in dieser Jahreszeit schon wieder selteneren Gänseblümchen): Au ja! Rasen mähen! (Sie stürmt in den Garten.)

Flocke (ruft ihr hinterher): Fixi! Denk dran, daß du von Gänseblümchen Bauchweh bekommst! ]

Huf: Zu spät! – Laß mal, Tante Flocke! (Er grinst.) Lieber mähwütig als wehmütig.

Flocke (verdreht die Augen): Du und deine Schüttelreime! (Sie trottet Fixi hinterher.)

Kohle: Klar. Warum eigentlich nicht. Organisieren wir halt eine Rasenmähergruppe (er stupst Grauchen und Blütenweiß an, sammelt noch Wolle und Curly ein und macht sich an die Arbeit. Für sich: Hoffentlich ist es kein ‚Politikum‘, wenn ich hier Rasen mähe. (Er beginnt zu grasen, während Edith mit drei Schafen in der Wohnung verschwindet und die Tür hinter sich zu klappt. Teresa bleibt draußen bei den Lämmchen.)

 ENDE

 

Ja, so geht’s zu in Wundersdorf. Eigentlich gar keine so schlechte Idee, sich mal zu kümmern, wo eigentlich die alten Prozessionswege zu  Festen wie Fronleichnam herliefen. Haben wir uns neulich auch gedacht und den Erzählungen von Freunden aus katholischen Gegenden gelauscht, die von fahnengeschmückten Fenstern entlang der Prozessionswege berichteten.

Aber nun sind wir unseren Lesern ja noch den Film schuldig, den Edith mit den Schafen gerade schaut. Er könnte etwa so aussehen wie hier oder hier.

Und für alle, die sich fragen, was die Überschrift bedeutet: Es ist selbstverständlich die Abkürzung der Worte „Katholische Schafe für die Rückgewinnung alter Prozessionswege“. Ganz einfach. 😉

 

Cornelie Becker-Lamers, Weimar

 

PS: Dieser Sketch stammt aus dem September 2016. Das heißt, er wurde genau ein Jahr nach der Amtsübernahme durch den neuen Pfarrer hier in Herz Jesu Weimar verfaßt. Die Stimmung der damaligen Zeit schlägt sich in einigen inhaltlichen Details nieder: So die Tatsache der Sprachlosigkeit und zeitweiligen Entfremdung zwischen Freunden. Es war schwer zu akzeptieren, daß die „also: Weimarer“ nur exakt ein halbes Jahr gebraucht hatten, um den neuen Pfarrer ‚einzunorden‘ und der langjährige nervenaufreibende und umgekehrt bis zum Rufmord an uns mißbrauchte Kampf für eine bessere Integration aller Kräfte ins Gemeindeleben umsonst gewesen zu sein schien. Ein paar ‚Fettaugen‘ auf der Suppe sorgten für ‚Business as usual‘ diesseits aller Aufarbeitung.

So auch die Fassungslosigkeit darüber, was den neuen Pfarrer nach der ‚Bearbeitung‘ durch die „also: Weimarer“ eigentlich noch zu interessieren schien. Das waren keine Kinder- oder Jugendgruppen. Das waren keine musikalischen Angebote. Das war keine wirkungsvolle Verständigung mit der muslimischen Gemeinde, die bloß zum „Running Dinner“ jährlich eben nur durch die Gemeinderäume „rennt“. Das war nicht die Verbesserung oder überhaupt Geburt einer medialen Präsenz der Pfarrei auf Instagram, Facebook oder YouTube. Alle greifbaren Menschen (inklusive entsprechender Muttersprachler), die in diesen Punkten gerne ehrenamtlich gute und professionelle Arbeit geleistet hätten, um dem Gemeindeleben wieder in allen Bereichen auf die Beine zu helfen (auf denen es bis heute bspw. in der Kinder- und Jugendseelsorge, aber auch in einem dem Potential unserer Pfarrei angemessenen musikalischen Angebot noch nicht wieder ist!), wurden um genau eine Mithilfe gebeten: Ob sie nicht die Kirche putzen könnten. Und noch diese Tatsache konnte vor dem Erfahrungshintergrund der vergangenen Jahre als ‚Politikum‘ gewertet werden. Schließlich gab es nicht Wenige unter den Fehlinformierten, die sich gewünscht hätten, einige Leute möchten schlicht komplett von der Bildfläche verschwinden.

Nach den Jahren des Niedergangs bis 2015 also erneut eine schlimme Zeit, die sich auch in einer relativen Sprachlosigkeit auf PuLa niederschlug: Nie haben wir so wenig gepostet wie im damals folgenden Jahr.

Das ist die ernste und leider eben nach wie vor nicht bewältigte Seite auch solch heiterer Texte. Aber auch diese Zeit haben wir überlebt und auch in dieser Zeit sind solche Sketche entstanden. 

CBL

Wie neu geboren

Ökumenisches Vivaldi-Konzert am Schloß Belvedere

Wie in einer zweiten Biedermeierzeit sitzt das deutsche Bürgertum – ich und meine Familie ausdrücklich eingeschlossen! – derzeit zuhause und hofft. Hofft, daß die Sprache in Satire, Berichterstattung und Argumentation endlich ihre floskelsprengende Wirkung tun und die Politiker zur ersatzlosen Beendigung aller „Coronaschutzmaßnahmen“ bewegen möge. Hofft, daß die Warnungen der Mediziner, die Plädoyers der Abgeordneten, die Hilferufe aus Einzelhandel, Kultur, Hotel- Gaststättengewerbe und natürlich die Verzweiflung aller Familien mit Kindern unter 25 endlich die Herzen der Entscheider erweichen und den ‚Coronanebel‘, der unsere Köpfe einhüllt und unser Denken verlangsamt hat, wegblasen möge. Die ungerechtfertigte mediale Identifikation auch besonnener Kritiker mit ‘Querdenkern’ und dieser mit dem ‚rechten Mob‘ hat ganze Arbeit geleistet: Statt zu demonstrieren, hofft das brave deutsche Volk, die Nachtmütze des deutschen Michel tief in die Stirn gezogen.

Unter dem Hashtag #Hoffnung fand denn auch am gestrigen Nachmittag ein ökumenischer Gottesdienst unter Beteiligung eines katholischen (Pfr. Gothe) und eines evangelischen Geistlichen (Pfr. Rylke) statt. Organisiert hatte die Veranstaltung Martin Kranz vom Achava-Festival gemeinsam mit Musikern der Staatskapelle Weimar. Denn der Gottesdienst war eigentlich ein Vivaldi-Konzert. Sinn der Open-Air-Veranstaltung hinter dem Schloß Belvedere war neben der seelischen Notversorgung der darbenden Bevölkerung, freischaffenden Musikern eine kleine bezahlte Auftrittsmöglichkeit zu verschaffen. Die während der Auftrittsverbote durchfinanzierten Streicher des DNT verzichteten zu diesem Zweck gestern auf ihre Bezahlung.

Strahlender Sonnenschein und milde Temperaturen erfreuten das Publikum und belohnten den Mut der Veranstalter und Ausführenden des Open-Air- Konzerts mit geistlichem Segen am 30. Mai 2021 in Belvedere (eigenes Bild)

Nach einer kurzen Ansprache, in der Pfarrer Gothe die derzeit zu erlebende Erweiterung des Gottesdienstbegriffes verteidigte, aber auch den Gedanken der Trinität an Beispielen begreiflich machte, las der Priester aus Joh 3. Zu Beginn dieses Kapitels erläutert Jesus dem Pharisäer Nikodemus die Notwendigkeit einer Neugeburt des Menschen, der ins Himmelreich eingehen möchte – einer Neugeburt nicht aus seiner Mutter, sondern aus Wasser und Geist. Nach einiger Musik schloß Pfarrer Rylke eine Predigt an zur Neugeburt nach den Zumutungen der Coronamaßnahmen und den Verwerfungen, die ihre unterschiedliche Bewertung in der Gesellschaft bis hinein in Familien und Freundeskreise bewirkt hat.

Der katholische Ortsgeistliche Timo Gothe bei seiner Begrüßung (eigenes Bild)

Die Musik trug natürlich wesentlich zu den Voraussetzungen einer solchen Neugeburt unserer Seelen bei. Sie war klug gewählt. Denn sie fußte vollständig auf den Kompositionen Antonio Vivaldis: Auf Teilen seines zu Trinitatis ungewöhnlichen „Stabat mater“ und auf den „Vier Jahreszeiten“.

Vierzehn Monate Staatstrauer

Warum Vivaldi? Weil die „Vier Jahreszeiten“ zu den meistgespielten Konzerten der Musikgeschichte gehören? Vielleicht. Aber ich vermute noch ein anderes Motiv bei den Veranstaltern. Denn während des Lockdown im vergangenen Jahr kursierte in Musikerkreisen ein gerade erschienener Vivaldi-Roman (Peter Schneider, Vivaldi und seine Töchter, Köln 2019), perfekt dazu angetan, die Moral einer kaltgestellten und zum Teil im Wortsinne ausgehungerten Künstlerschaft zu heben. Denn Vivaldi wird darin als „einer der ersten freien Künstler Europas“ apostrophiert.

Nur in der ersten Hälfte seines Lebens hat er in einem ständigen festen Dienstverhältnis bei der ‘Pietà’ gestanden. Den großen Rest seines Einkommens hat er auf dem unsicheren Opernmarkt und beim musikbesessenen Adel eingesammelt – bei dessen Empfängen, Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, Partys und durch den privaten Verkauf seiner Partituren. Sollte auch nur eine dieser Quellen plötzlich versiegen, stünde es schlecht um Vivaldis Haushalt. Und ganz schlecht, wenn alle Quellen auf einmal vertrockneten.
(S. 233)

Ja. Antonio Vivaldi (1678 Venedig -1741 Wien) hat, von den Eltern zum Priesterstand bestimmt, als solcher nicht nur Eltern und Geschwister miternährt und mit dem Waisenhaus Ospedale della Pietà in Venedig das erste Straßenkinder-Orchester der Welt unterhalten. Er hat auch an die 100 Opern komponiert und auf eigenes Risiko zur Aufführung gebracht.

Der Niedergang des berühmten „prete rosso“ begann mit der Zensur eines Werkes. Metastasios „Catone in Utica“ – ein Werk über „Freiheit und Unterwerfung, Moral und Anpassung“ und vor Vivaldi bereits von Meistern wie Hasse und Händel vertont – wird als Libretto verboten, denn, so die Stadtoberen laut Peter Schneider, hier „würden‚ Dinge gesagt, die sich mit der seit Jahren verfolgten politischen Linie in Venedig nicht vertragen.‘“ (S. 222) Der Arm diverser Kirchenfürsten reicht weit ins italienische Umland hinein. Im Mai 1740 verläßt Vivaldi Venedig vermutlich auf der Flucht vor seinen Gläubigern in Richtung Wien (S. 252f.)

Doch die Verlagerung des Wohnortes steht unter keinem guten Stern. Vivaldis Gönner Kaiser Karl VI. stirbt im Oktober desselben Jahres. Vivaldi weiß, „was die unmittelbare Folge für alle Musikanten im Kaiserreich sein würde: die Schließung aller Opern und die Anordnung einer langen Trauerzeit – vierzehn Monate in diesem Fall.“ (S. 258) Der große Opernkomponist, Unternehmer, Violinvirtuose und Vorlagenlieferant etlicher Bachscher Transkriptionen wird am 28. Juli 1741 in Wien in einem Armengrab beigesetzt.

„Vierzehn Monate!“ lachte im letzten Jahr ein befreundeter Chorleiter am Telefon noch auf. Heute, nachdem die Parallelität von zeitlichem Ausmaß der Schließungen und reeller Verarmung der Künstlerschaft Vivaldis Schicksal mit dem heutiger Musikschaffender zur Deckung bringt, lacht niemand mehr. Auch nicht sarkastisch.

Über 200 Jahre blieb Vivaldis auch in den deutschen Fürstentümern zu Lebzeiten vielgespieltes Werk vergessen. Eine wertschätzende Wiederentdeckung fiel in Deutschland dem Kulturkampf im letzten Drittel des 19. Jh.s zum Opfer, als die Orgelbearbeitungen des frisch gebackenen ‘Mythos BACH’ gewissermaßen aus Staatsräson prinzipiell über die Originalwerke des italienischen Katholiken gestellt wurden (S. 262f). Die wertschätzende Wiederentdeckung vollzog sich darum erst 300 Jahre nach Vivaldis Tod durch das Istituto Italiano Antonio Vivaldi, das der Wiederaufführung einiger in der sächsischen Landesbibliothek Dresden aufbewahrten Partituren durch die amerikanische Geigerin Olga Rudge folgte (S. 273f).

Eingehüllt in Fliederduft

Nun also „Le quattro Stagioni“ zu allseitiger Tröstung im Park von Belvedere. Der Duft der voll erblühten Fliederbüsche im Rücken des Publikums erfüllte die Luft auf dem abstandsbestuhlten Platz. In wechselnder Besetzung, mit Solisten aus je anderen freien Ensembles oder auch der Staatskapelle spielten „Frühling“ (Solo: Bernhard Forck), „Sommer“ (Edi Kotlyar), „Herbst“ (Gernot Süßmuth) und „Winter“ (Daniel Sepec) und ließen es sich nicht nehmen, uns in einer jeweils besonderen Ausgestaltung der langsamen Sätze das Erlebnis der Livemusik in vollen Zügen genießen zu lassen. So zauberte Gernot Süßmuth, die linke Hand fast am Steg seiner Geige, in atemberaubendstem Flageolett Vogelstimmen und Naturgeräusche hervor. Christine Schornsheim (Cembalo) riß es vor der letzten Reprise des Kopfthemas im Schlußsatz des „Herbstes“ zu einem genrefremden  Glissando quer über die Tasten hin.

Pure Musizierlust und die Freude am musikalischen Spaß!

Das gute Zusammenspiel der sonst nicht gemeinsam musizierenden Streicher verbesserte sich weiter von Satz zu Satz. Die Akustik im Freien war natürlich knochentrocken, aber eben darum für die sechszehntelgesättigten Melodien der „Vier Jahreszeiten“ besonders gut. Zu Beginn des „Frühlings“ hörte man förmlich die einzelnen Vögel zwitschern.

Schließen wir auch diesen Beitrag mit einer Einspielung des „Herbstes“ durch Frederieke Saeijs und das Niederländische Symphonie Orchester Enschede. Enjoy! 🙂

 

Cornelie Becker-Lamers

PuLa-reloaded: Die letzten Dinge im „Himmelchen“

Den Anlaß für das PuLa-reloaded dieser Woche bot, in ebenso  unerfreulicher wie typischer Weise ein Artikel im ‚Tag des Herrn‘ (Nr. 20, 23. Mai 2021) unserer lokalen Ausprägung der Bistumspresse.
Prominent auf Seite 3 winkt uns dort die kürzlich verstorbene 93-jährige Gertrud W. aus Münster zu, auf einem Photo, entstanden vermutlich in dem Altenpflegeheim, in dem sie ihre letzten Tage verbrachte.

Überschrift: “Ihre letzte Hoffnung”.

‚Tag des Herrn‘ vom 23. Mai 2021, S. 3 (eigenes Bild)

Was mochte die “letzte Hoffnung” einer so betagten Dame gewesen sein, die, wie aus dem Fünfspalter hervorgeht, zwei Söhne geboren hat, zu denen, so will es scheinen, guter Kontakt bestand.
Der “Traum von der Reise zum Haus an der Nordsee”, der in der Zwischenüberschrift vorkommt, konnte es doch wohl nicht gewesen sein, so dachte ich. 

Jedoch, die Lektüre des gesamten Berichts belehrte mich, nein, eben nicht eines Besseren, sondern zeigte erneut das ganze Elend dessen auf, was heute so in der “Kirchenzeitung” steht.

Kein Wort, wirklich kein Wort stand da zu lesen, das über diese Welt und ihre engen Grenzen hinauswiese!
Seemannslieder, natürlich ‘Corona’ (einschließlich vollständiger Impfung) Reisen, Konzerte, Bastelrunden und schließlich auch die “Pizza Salami”, das alles kommt vor.

“Letzte Hoffnung”, dachte ich, und frage mich: fehlt da nicht etwas? Erschöpfte sich darin, worauf eine 93-jährige, deren Leben in dieser Welt sich nun einmal objektiv seinem Ende zuneigte, hinlebte?

Nun, wir wissen nicht, wie es diesbezüglich wirklich um Gertrud W. stand, und wir wollen hoffen, besser, als es uns dieser Artikel darlegt.

Aber was wir wissen, ist, eine Kirchenzeitung, die es offenbar als normal empfindet, von den “Letzten Dingen” nicht einmal dann zu sprechen, wenn sich die Sorge um sie doch geradezu aufdrängt, die es fertigbringt, ausschließlich irdischen Tand (relativ) als “Letzte Hoffnung” auszugeben, die hat den Boden praktizierten Christentums schlicht verlassen!

Es soll einmal eine Zeit gegeben haben, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, von der wird berichtet, die Lehre von den letzten Dingen, die Eschatologie, sei in der Kirche geradezu “in Mode gewesen”. Lang, lang ist’s her, kann man da nur sagen…

Doch worüber wundern wir uns? Haben wir denn angesichts der Tatsache, daß uns mit ‘Corona’ vermeintlich oder tatsächlich das Sterben besonders nah gerückt ist, von unseren Bischöfen besonders viel von der nächsten Welt gehört, bzw. der Notwendigkeit, sich auf sie vorzubereiten? Wir alle kennen die Antwort, denke ich.

Es ist hart, das so deutlich auszusprechen, aber der organisierte Katholizismus in Deutschland, einschließlich der doch genau dazu berufenen Oberhirten, hat in dieser ‘Pandemie’  geistlich einfach fast vollständig versagt.

Dabei ist die Beschäftigung mit der Eschatologie so schön und bereichernd, intellektuell aber auch ganz persönlich, wie ich im Juni 2013 erleben durfte, als die Herausgeber der Josef-Ratzinger Gesamtausgabe (JRGS) rund um den Regensburger Bischof R. Voderholzer anläßlich des Erscheinens des einschlägigen Bandes am Erfurter Dom ein Symposium zu der Lehre des damaligen Papstes und Theologen zu diesem Thema organisierten, an dem ich als Zuhörer teilnehmen konnte. Ich staune bis heute über meinen damaligen Mut, aber ich wurde reich belohnt und habe dann einen kleinen Beitrag (hier das Original) geschrieben, den einer der beteiligten Wissenschaftler sogar ausdrücklich gelobt hat. 

Viel Vergnügen!

Gereon Lamers 

Die letzten Dinge im „Himmelchen“, Symposium zu Joseph Ratzingers Eschatologie in Erfurt

„Wenn dem Menschen das Evangelium der Rettung verkündigt wird,
dann wird die Rettung auch dem Fleische verkündigt.“

(Justin der Märtyrer)

Coelicum (Bild: Wikipedia, Uni Erfurt)

Im Coelicum („Himmelchen“), dem spätmittelalterlichen Hörsaal der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt, fand am Samstag, dem 1. Juni 2013, das vom Institut Papst Benedikt XVI. gemeinsam mit der Katholisch-Theologischen Fakultät veranstaltete Symposium zu „Eschatologie und Theologie der Hoffnung“ statt, das anläßlich des Erscheinens von Band 10 der „Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften“ (JRGS) veranstaltet wurde (das Institut ist, wem das gerade nicht mehr gegenwärtig ist, mit der Herausgabe der Schriften des Theologen Joseph Ratzinger von diesem als Papst Benedikt XVI. [indirekt] selbst beauftragt worden).

Vor allem weiteren möchte ich mich bei den beiden Veranstaltern für die Möglichkeit der Teilnahme und die erwiesene Gastfreundschaft herzlich bedanken! Was kann man sich besseres antun an so einem kalten und stürmischen (wenn auch erstaunlicherweise kaum regnerischen) Tag, als einige Stunden seinen Kopf anzustrengen aus so erfreulichem Anlaß und zu diesem qua definitionem so entscheidendem Thema?

Mariendom zu Erfurt, Hoher Chor (Bild: Wikipedia, Matthias Kabel)

Der Tag begann mit einer Hl. Messe im Hohen Chor des Erfurter Doms, die zelebriert wurde von dem Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer,  dem Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. und unserem Altbischof Dr. Joachim Wanke. Dieser geistliche Beginn des Tages wurde nur um so schöner durch die ebenso wohltuende wie lehrreiche Predigt von Bischof Voderholzer, in der er den „guten Patron“ des gemeinsamen Bemühens würdigte, den Tages-Heiligen: Justinus der Märtyrer,  der im 2. Jahrhundert das „Gespräch der Vernunft“ zwischen dem jungen Christentum und seiner Umwelt nicht mit den heidnischen Kulten, sondern mit der Philosophie seiner Zeit gesucht habe. Ein früher Aufweis der Logos-Gemäßheit der „neuen Religion“, für die Justin schließlich im Jahr 165 in Rom unter dem „Philosophenkaiser“ Marc Aurel (…) das Martyrium erlitten hat.

Außerdem sind es ja immer die „kleinen Dinge“ in einer Messe, über die sich der aufmerksame, sozusagen „tätig teilnehmende“ 😉 , einfache Gläubige freut: So z.B. wenn zu Beginn von den „Göttlichen Mysterien“ die Rede ist und wenn es vor dem Vaterunser einmal wieder heißt: „wagen wir zu sprechen“; Danke, Herr Bischof!

Anschließend erläuterte zu Beginn der Tagung der Dekan der Fakultät, Prof. Michael Gabel,  u.a. warum gerade das Coelicum ein so geeigneter Ort für die Vorstellung eines Buchs mit Texten von Joseph Ratzinger war: Es schaut an einer Seite auf den Kreuzgang des Doms, in dem im September 2011 Papst Benedikt am Grab des ihm freundschaftlich verbundenen Bischofs Hugo Aufderbeck gebetet hat.

Kreuzgang des Erfurter Doms (eigenes Bild)

Seine gewisse Entrücktheit, hoch auf dem Domberg über Erfordia turrita, der türmereichen Stadt, wird ebenfalls nicht geschadet haben und der Versuch, mit den Mitteln der modernen Technik den Frevel des 19. Jahrhunderts zu tilgen, das die namensgebende, mit Sternen und Planeten bemalte Decke zerstörte, fand gebührende Anerkennung.

Die neuen Lichter im Coelicum (eigenes Bild)

Doch ist es, glaube ich, angemessen, noch in einem viel grundsätzlicheren und vor allem inhaltlicherem  Sinne von einem guten Tagungsort zu sprechen, der sich vor allem in der Auswahl der Referenten spiegelte.

Denn indem hier Wissenschaftler aus dem Osten und aus dem Westen Deutschlands zu Wort kamen (und solche, die beide Teile in ihrer Laufbahnen verbinden) traten zugleich verschiedene Aspekte im Zugriff auf und Erfahrungen mit einer Theologie der Hoffnung im allgemeinen und den Werken Joseph Ratzingers im besonderen zutage.

Mariendom zu Erfurt, Südansicht mit Blick auf den Hohen Chor und das Coelicum (Bild: Wikipedia)

Den Anfang machte Dr. Gerhard Nachtwei,  z.Zt. Propst in Dessau,  mit seinem Vortrag zu: „Ratzingers Eschatologie auf der Suche nach einer Antwort auf die Fragen des heutigen Menschen. Erfahrungen mit der Theologie Ratzingers im Osten Deutschlands“. Dr. Nachtwei hat mit der 1986 in Leipzig erschienen ersten Dissertation („Dialogische Unsterblichkeit“) im deutschen Sprachraum zu der 1977 zuerst als Gesamtdarstellung erschienenen „Eschatologie“ J. Ratzingers eine „Referenzstudie“ (Prof. Marschler) vorgelegt, der der Autor Ratzinger in seinem Nachwort zur 6. Auflage von 1990 hohes Lob („große Arbeit“) gespendet hat.

Dr. Nachtwei zog zu Beginn kurz (vielleicht ein wenig sehr kurz angesichts des komplexen Themas) die entscheidenden Linien seiner Untersuchung noch einmal nach und gab anschließend beeindruckende Beispiele für die „pastorale Notwendigkeit fundierter eschatologischer Antworten“  und unterstrich, wie wichtig es in der Auseinandersetzung mit dem materialistischen System der DDR gewesen sei, Begriffe wie „Geist“ und „Seele“ zur Verfügung zu haben.

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht in einem kurzen Einschub darauf hinzuweisen, daß dies keineswegs so selbstverständlich ist, wie es auf den ersten Blick für denjenigen scheinen muß, der die Entwicklung des eschatologischen Denkens in der (westdeutschen) Theologie der letzten Jahrzehnte nicht mit- bzw. nachverfolgt hat. Diese hatte nämlich den Seelenbegriff (und damit natürlich auch den der ‚Unsterblichkeit der Seele‘) in weiten Teilen aufgegeben! Ich erinnere mich noch gut an mein eigenes ungläubiges (und entsetztes) Staunen, als ich dies bei Joseph Ratzinger erstmals las… Eines seiner wesentlichen Anliegen mit „seiner“ Eschatologie war es demnach ja auch, die allzuschnell in Verkündigung und Gemeindepraxis eingegangenen, unausgegorenen Vorstellungen („Auferstehung im Tode“) als „ein Denken zu verabschieden, das die Verkündigung sprachlos macht und sich damit als Weise des Verstehens selbst aufhebt.“ (J. Ratzinger, Eschatologie, Tod und ewiges Leben, Regensburg, 6. Auflage 1990, S. 97; sorry, Band 10 der JRGS stand mir  noch nicht zur Verfügung 😉 )

Ein Anliegen, das in den Ausführungen von Dr. Nachtwei (wie seinen späteren Diskussionsbeiträgen) eindrucksvolle Bestätigung fand.

Prof. Dr. Josef Freitag,  ursprünglich Freiburg, heute Erfurt hingegen hielt in seinem Vortrag: „Individuelle und universale Eschatologie“ die durch Joseph Ratzingers Buch ausgelöste Kontroverse (insbes. mit Gisbert Greshake), wohl mit der Mehrheit der heutigen Forschung, für  weitgehend erledigt (auf der grundsätzlichen, theoretischen Ebene) und betonte den unaufgebbar wichtigen Aspekt universaler Eschatologie in klarer biblischer Herleitung und auf Basis eines historischen Rückblicks, der die Individualisierung zunächst der Bußpraxis und später der Jenseitshoffnung in der westlichen Kirche kritisch in den Blick nahm.

Freitag erhob weiterhin Widerspruch gegen die Ratzingersche Einordnung der „Theologie der Befreiung“ als ein (vorwiegend bis ausschließlich) „politisches“ (ja weitgehend marxistisches) Phänomen und hielt dem entgegen, sie habe vielmehr ihren universaleschatologisch einzuordnenden Ausgangspunkt bei der Frage, „Was tut Gott in der Welt?“ gehabt, wobei er allerdings zugestand, der Bezug auf „Communio-Strukturen“ sei bei Joseph Ratzinger ebenfalls sehr stark, dieser sei allerdings in seiner „Eschatologie“ eben nicht „systemprägend“ geworden.

Ergab sich damit bereits in gewisser Hinsicht eine Art von Antwort auf den ersten Beitrag des Tages, sollten unterschiedliche Bewertungen im Blick auf die Theologie der Befreiung  am Ende des Tages noch viel deutlicher hervortreten.

Doch zuvor sprach nach der Mittagspause Prof. DDr. Thomas Marschler, Universität Augsburg, zu: „Seele: Joseph Ratzingers Stellungnahmen zu einem eschatologischen Zentralbegriff und ihre Relevanz für die aktuelle Diskussion“.

Er stellte zunächst fest, von verschiedenen Seiten, sowohl von ausgeprägt konservativen katholischen wie von evangelischen Positionen, zuletzt aber auch aus philosophischer Sicht habe es an Joseph Ratzingers Thesen Kritik („Inkonsistenz­vermutungen“)  gegeben, die sich, ggf. mit je verschiedenem „Vorzeichen“, an der Frage Relationalität versus Substantialität der Unsterblichkeitskonzeption festgemacht hätten, um daraufhin vier Kernaussagen der Ratzingerschen Eschatologie in ihrer reifen Phase (d.i. post-1977) herauszuarbeiten.

Ich greife hier (schließlich sollen die Beiträge ja auch noch in Buchform erscheinen… 😉 ) die zweite These heraus:

„(2) Die genuin theologische Unsterblichkeitshoffnung darf sich der philosophisch-ontologischen Dimension ihrer Aussagen nicht verschließen.

Die „Seele“ als Inbegriff der dynamischen Relation zu Gott ist in diesem Sinn für den Menschen als unverlierbar und “substantiell“ anzusehen.

In eschatologischer Hinsicht ist die “Seele“ dasjenige anthropologische Konstitutions­prinzip, das die Fortexistenz des Menschen über den Tod hinaus ermöglicht.“

Mit ihr erscheint mir exemplarisch deutlich zu werden, wie Prof. Marschler hier Joseph Ratzingers Anliegen verdichtend aufgriff und schöpfungstheologisch explizierte wie diese quasi-substantielle, ontologische Dimension der „Relationalitäts-Unsterblichkeit“ die Schärfe der Gegenüberstellung „Unsterblichkeit versus Auferweckung“ aufzuheben angetan ist.

Das von ihm festgestellte, philosophisch gesehen „überflüssig“ erscheinende, „ambivalente Verhältnis“ Joseph Ratzingers zum Dualismusbegriff ist in der Tat etwas, was sich dem aufmerksamen Leser, wenn auch natürlich nicht in dieser begrifflichen Schärfe, aufdrängt. Ich würde zu der Frage nach dem Grund für diese Ambivalenz gerne an die Stelle aus dem 2. Kapitel, § 5, Nr. 5 der  „Eschatologie“ (6. Aufl. S. 130) erinnern, in der der Autor offenbar sehr bewußt mit den Begriffen der (unverzichtbaren) „Dualität“ einerseits und des „Dualismus“ andererseits operiert. Legt nicht das offenkundige Ziel, nichts an der „Einheit des ‚ganzen Menschen‘“ wegzunehmen, nahe, die begriffliche Unschärfe könne aus sozusagen vorrangigen verkündigungspraktischen Gründen bewußt in Kauf genommen worden sein?

Wie dem auch sei, die lebhafte und hochklassige Diskussion zwischen den Referenten und einigen der ca. 50 Teilnehmer setze sich noch in der nachmittäglichen Pause fort, bevor zum Abschluß Prof. Dr. Siegfried Wiedenhofer,  zuletzt Goethe Universität Frankfurt, Main, zu „Politische(r) Utopie und christliche(r) Vollendungshoffnung“ vortrug.

Professor Wiedenhofer stellte zunächst die im Prinzip ja wohlbekannte Position Joseph Ratzingers in seiner Ablehnung der politischen, bzw. Befreiungstheologie (Stichworte: „Selbsterlösungshoffnung“, Machbarkeitskult“, „Aufgabe des ontologischen Wahrheitsbegriffs“) dar, die ihn zu einer „theologischen Hermeneutik des Verdachts“ gegen diese Entwicklungen geführt habe. Diese sei zwar im Sinne des „Ent-deckens des Vorhandenen“, der notwendigen „Aufdeckung gefährlicher Tendenzen“ tatsächlich erforderlich gewesen, habe jedoch auch zu einer im einzelnen wenig faktenorientierten Form der Auseinandersetzung geführt, die schlimmstenfalls ins bloße Vorurteil abzugleiten drohe. Vor allem aber stelle sich mit der völligen Trennung von Religion und Politik und der Zuweisung der letzteren auf das Gebiet der Moral das Problem der „Beschränkung der sakramentalen Gesamtexistenz des einzelnen Gläubigen“. Von daher sei, so Wiedenhofer, eine „Ehrenrettung“ der politischen Theologie und der Theologie der Befreiung „möglich und erforderlich“; er verwies in diesem Zusammenhang auf das wesentlich entspanntere Verhältnis, das der (amtierende) Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof G.L. Müller zu diesem Themenfeld und den auf ihm handelnden Personen unterhalte.

Wenn nun auch jeder Versuch einer abschließenden Bewertung seitens des theologischen Laien schlechterdings vermessen wäre, drängen sich dem aufmerksamen einfachen Gläubigen doch einige Beobachtungen auf:

1) Es ist ja nachgerade ein Topos der Blogoezese, die selbstreferentielle und auswirkungslose (deutsche) Universitäts-Theologie zu schelten und zwar, Topos hin oder her, wie ich glaube, nur allzuoft völlig zu recht. Nichts davon aber war im Rahmen dieser Tagung zu spüren!  Vielmehr blieb bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze nicht nur der respektvolle Umgang mit dem Oeuvre des großen Theologen, das ja alle erst dort versammelt hatte, jederzeit gewahrt, sondern vor allem blieb, bei aller begrifflichen Abstraktion, für mich jedenfalls, der Blick auf den einzelnen Menschen, den einzelnen Gläubigen und „was er davon hat“, sein (Seelen-) Heil!, zu jedem Zeitpunkt glaubhaft gewahrt. Das war ein sehr schönes Erlebnis, für das ich allen Referenten danken möchte.

2) Bei aller inneren Nachvollziehbarkeit der Argumente fand ich es doch bemerkenswert, wie der stärkere Bezug auf „das Politische“ mit dem Lebensalter und der „West-lichkeit“ der Referenten korrelierte. Wie auch die Diskussion, die sich an den letzten Vortrag anschloß zeigte, gibt es gerade auch im Bereich der Theologie nach wie vor jede Menge guter Gründe, Erfahrungen und Perspektiven auszutauschen, zwischen „West“ und „Ost“. Auch deswegen ist es eine so gute Idee, Bischöfe zwischen den ehemaligen Teilen Deutschlands „hin- und herzuschicken“, wie das ja zuletzt nach allem, was man hören kann, mit der Ernennung von Bischof Dr. Heiner Koch für Dresden-Meißen wieder so hervorragend geklappt hat! Hoffentlich trägt sich dieses Muster weiter durch.

3) Wenn Prof. Wiedenhofer die „nachkonziliare Streitphase“ und ihre Polemiken für mittlerweile historisch erklärt und die Ratzingersche „Hermeneutik des Verdachts“ nach „außen“ (gegenüber der politischen Theologie) in Analogie zu seinen Argumentationsmustern nach „innen“, hinsichtlich kirchlicher Struktur- (bzw. „Reform“-) Fragen sieht, möchte ich, insoweit die Analogie auch Parallelität bedeuten soll, hinsichtlich der Konsequenzen widersprechen.

Mir scheint doch mit Händen zu greifen, daß die Überwindung so mancher Verirrungen der nachkonziliaren Phase alles andere als abgeschlossen ist, gerade „vor Ort“ in den Gemeinden; deswegen ist es m. E. für eine solche Historisierung der Ratzingerschen Theologie, inklusive ihrer Polemiken!,  definitiv zu früh. Es ist nämlich, wenn Sie mir das Wortspiel gestatten, ein „himmelchen-weiter“ Unterschied, ob man sich im Rahmen eines solchen Austauschs über Entstehung, Rahmenbedingungen und Absichten theologischer Forschung differenziert austauschen kann, oder ob „abgesunkene“ Vorstellungen den schrecklichen Vereinfachern in den Gemeinden („engagierte Laiinnen und Laien“… 🙁 ) in die Hände fallen.

Und ich frage mich weiterhin, ob gleiches nicht auch für den Blick „nach außen“ unverändert gilt. Hat nicht der weltanschauliche Feind, der als („orthodoxer“) Marxismus erledigt scheint, eher einen bloßen Gestaltwandel vollzogen, was ihn aber nicht ungefährlicher zu machen braucht?
[…]

Ganz zum Schluß möchte ich mit einer Ermutigung enden: Wer u.U. die obige notwendige Verknappung von immerhin einigen Stunden dichter Vorträge und Diskussionen etwas, na, sagen wir „abstrakt“ fand, der sollte sich davon keinesfalls abhalten lassen, sich mit dem Thema zu beschäftigen! Wie ich im Gespräch mit Dr. Chr. Schaller, dem stellvertretenden Institutsdirektor, zu meiner freudigen(!) Verblüffung feststellen durfte, haben wohl etliche Menschen wie ich von Joseph Ratzinger als erstes seine „Eschatologie“ gelesen. Das ist nicht ganz einfach und man wird das Buch im Zweifel mehr als einmal lesen müssen. Aber das wird man auch wollen! Es ist mit der gesunden Lehre wie mit einem Stück Vollkornbrot: man muß sie ordentlich kauen, aber dann nährt sie eben auch besser als manches Stück aufgeplusterten Weichgebäcks! 🙂

Wie man dabei (erneut) Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. als eminent „praktischen“ Theologen und wahren Hirten erlebt, setzt dem geistlichen Gewinn ein freudiges Krönchen auf.