Ja, ich weiß. Wir hatten hier schon einmal einen Chesterton-Adventskalender. Das war im Jahr 2011 und es war der erste Adventskalender auf PuLa überhaupt, hier.
Und ich will ehrlich sein, dies ist tatsächlich “Plan C” für die 24 “Türchen” dieses Jahres.
“Plan A” war die Beschäftigung mit Person und Werk Heinr…
Aber halt, das verrate ich lieber doch nicht und füge nur hinzu, daß “Plan B” war, aus einem faszinierenden und weitgehend vergessen gemachten (!) Werk katholisch geprägter deutscher Geschichtsschreibung des 19 Jahrhundert (ja, so etwas gab es!!) zu berichten.
Auf beides hatte ich richtig Lust und habe sie im Prinzip natürlich immer noch, aber da ich mich ja immer noch nicht in Pension befinde 😉 , sondern im Gegenteil gerade mehr und vor allem intensiver arbeite, als die letzten Jahre (eine Langzeitvertretung) hatte ich schlicht weder Zeit noch Kraft für die zwingend erforderliche Recherche, denn zu beiden Themen gibt es nichts, aus dem man einfach Auszüge zurecht machen könnte.
Also habe ich ein bißchen muffelig, wenn Sie so wollen, wieder angefangen, ganz wie vor 13 Jahren auf den täglichen Zugfahrten nach und von Erfurt in einem Werk Chestertons zu lesen, näherhin in “Orthodoxy” (1908), das ich zwar natürlich kannte, aber auch schon wieder Jahre nicht gelesen hatte.
Advent, Advent (ok, noch nicht ganz…)
Und wenn ich 2011 über die Lektüre von “The everlasting man” geschrieben habe:
“Noch nachträglich bitte ich meine Mitfahrer in den Zügen zwischen Erfurt und Weimar um Nachsicht, wenn ich gelegentlich über der Lektüre laut losgeprustet habe, kann aber ehrlicherweise nicht versprechen, es nicht wieder zu tun!”
dann kann ich heute nur feststellen, daß sich insoweit nichts geändert hat – glücklicherweise! Denn Chesterton-Lektüre führt unwillkürlich dazu, daß man vor Lachen innehalten muß, innehalten, weil man ruckartig Distanz gewonnen hat zu dem Irrsinn, der einen, nicht zuletzt kirchlicherseits, gerade umgibt.
Was sich sehr geändert hat, sind hingegen die “Produktionsbedingungen”! Mußte ich damals jedes Stückchen Text händisch eingeben, so findet sich heute der englische Text auf “Project Gutenberg” quasi sofort, hier.
Und während damals die elektronische Übersetzung doch noch arg in den Kinderschuhen steckte, so liefert sie heute auf Anhieb recht ordentlich verwertbare Ergebnisse, egal, was man vom allgegenwärtigen Schlagwort “KI” so halten mag. Nacharbeit ist schon immer noch erforderlich, aber sie fällt leichter und macht so mehr Spaß.
Tatsächlich habe ich von “Orthodoxy” sogar eine deutsche Übersetzung zur Verfügung, sie ist im Jahr 2000 als sehr hübsches Buch
„Orthodoxie“, Frankfurt, Main, 2000
in der sehr verdienstvollen Reihe: “Die andere Bibliothek” im Eichborn Verlag erschienen.
„Orthodoxie“, Frontispiz
Aber ich habe nicht nur viel zu viel Achtung vor der schutzwürdigen (und geschützten) Leistung des damaligen Übersetzerpaares, nein, ich strebe auch, wie damals schon, eher weniger eine “literarisch” geglättete, sondern vielmehr eine eher wörtliche (wenn auch daher manchmal vielleicht holprige) Übertragung an, die uns näher an den englischen Ausgangstext bringt; und manchmal bin ich auch einfach nicht einverstanden mit den damaligen Übersetzungsentscheidungen.
Martin Mosebach schreibt in seinem Vorwort zu der deutschen Ausgabe:
Zu der Spannung, die [Chestertons] Buch belebt, gehört die radikale Subjektivität, mit der er die radikale Antisubjektivität seines Gegenstandes preist.
Das ist sehr gut gesehen und es handelt sich um eine heitere und eine heilsame Spannung, die sich, s.o., nicht zufällig immer wieder in einem befreienden Lachen entlädt!
Und so gilt auch für das jetzt beginnende neue Kirchenjahr wieder:
Kostprobe gefällig?
I freely confess all the idiotic ambitions of the end of the nineteenth century. I did, like all other solemn little boys, try to be in advance of the age. Like them I tried to be some ten minutes in advance of the truth. And I found that I was eighteen hundred years behind it. […] It may be, Heaven forgive me, that I did try to be original; but I only succeeded in inventing all by myself an inferior copy of the existing traditions of civilized religion. […] I did try to found a heresy of my own; and when I had put the last touches to it, I discovered that it was orthodoxy.
Ich gestehe offen all die idiotischen Ambitionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein. Ich habe, wie alle anderen feierlichen kleinen Jungen, versucht, der Zeit voraus zu sein. Wie sie habe ich versucht, der Wahrheit etwa zehn Minuten voraus zu sein. Und ich stellte fest, daß ich achtzehnhundert Jahre hinter ihr zurückgeblieben war. […] Es mag sein, der Himmel möge mir vergeben, daß ich versucht habe, originell zu sein; aber es ist mir lediglich gelungen, ganz auf mich allein gestellt, eine minderwertige Kopie der bestehenden Traditionen zivilisierter Religion zu erfinden. […]
Ich habe versucht, meine eigene Häresie zu begründen; und als ich ihr den letzten Schliff gegeben hatte, entdeckte ich, daß es Orthodoxie war.
Morgen geht’s los!
Gereon Lamers