Wir trauern um Horst Brauner (26.6.1937-17.3.2023)
Wer ist Horst Brauner?
Und wer ist „wir“?
Horst Brauner war der Gründer des seit 1995 von Berlin aus tätigen JUBAL Musikverlags.
Seinem Label, das auch Chornoten des 19. und 20. Jahrhunderts editiert, verpaßte der rührige Ur-(West-)Berliner allerdings, den eigenen Neigungen entsprechend, einen Arbeitsschwerpunkt in einer der Orgelmusik gewidmeten CD-Produktion. Dieses persönliche wie professionelle Interesse brachte es mit sich, daß Horst Brauner bald im orgelreichen Thüringen ebenso zuhause war wie in Berlin.
Für seine Einspielungen und Konzertmitschnitte graste er nicht nur die großen Städte ab. In den nicht nur unter geographischen Gesichtspunkten, sondern auch nach Orgelbauern zusammengestellten Hörerlebnissen verschaffte er sich Zugang zur Sauer-Orgel im Berliner Dom und zu den Orgeln etwa in Meiningen, Sondershausen, Sangerhausen, Gotha und Leipzig. Er begab sich aber etwa auf den Spuren der „Rommel-Orgeln in der Thüringer Rhön“ auch in Dorf- und Stadtkirchen wie die von Kaltenlengsfeld, Geba, Herpf, Wohlmuthausen und Zella-Mehlis. So ist es selbstverständlich, daß er Kontakt zu sehr sehr vielen Organisten knüpfte und aufrechterhielt. Als 2019 ruchbar wurde, daß die historische Hesse-Orgel in Goldbach im Zuge einer Kirchenmodernisierung abgebaut und eingelagert werden sollte, machte er all seinen Einfluß geltend, um beim Erhalt des historischen Zustands hilfreich zu sein. Die CD „Hesse-Orgeln in Thüringen“ mit Einspielungen aus Holzhausen, Möbisburg, Schwerstedt, Seebergen und Wahlwinkel legte er noch im Februar 2020 vor.
Natürlich erfuhr Horst Brauner beizeiten, daß in Weimar zum 200. Liszt-Geburtstag im Jahr 2011 große Dinge in Bewegung gebracht wurden. Der Professor für Orgel und Improvisation an der nach dem Komponisten benannten Weimarer Hochschule für Musik – ein gewisser Michael Kapsner – hatte angesichts der Tatsache, daß Liszt nicht nur ein lange Jahre (1843-61) in Weimar ansässiger Dirigent, Pianist und Komponist, sondern in dieser Zeit auch aktives Mitglied der damals winzigen katholischen Pfarrei Weimar war, eine Idee, die für die nunmehr erstarkte Pfarrgemeinde wie für die Hochschule nach menschlichem Ermessen nur zu einer gigantischen win-win-Situation werden konnte: Eine neue, als Übeinstrument ohnehin benötigte Hochschulorgel könnte in die Herz-Jesu-Kirche eingebaut werden, um den Kontakt zwischen Hochschule und Gemeinde zu stärken und den Gottesdienstbesuchern zugleich als liturgisches Instrument zur Verfügung zu stehen. Liszts liturgische Kompositionen könnten so durch den Professor selber wie durch Studierende in ausgewählten Messen wieder lebendig gemacht werden, Konzerte würden Menschen in die Kirche lotsen und der Kirchenraum wie auch der Glaube, für den er steht, würde im Bewußtsein nicht nur der Stadtbewohner zu einer gewichtigeren Größe werden. Nach langen Gesprächen mit dem begeisterten Pfarrer beschaffte Michael Kapsner eine knappe Million Euro aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft, konzipierte die „Franz-Liszt-Gedächtnis-Orgel“ und betreute den Bau durch die Orgelbaufirma Waltershausen. Die Idee war so herzerwärmend gut und richtig, wie sie zukunftsweisend und der Ausübung der katholischen Religion in Weimar (und darüber hinaus) förderlich war.
Wie PuLa-Leser wissen, ist sie dennoch hintertrieben worden. Nicht von den Gläubigen. Aber von einer damals alleinherrschenden stellvertretenden Vorsitzenden des Kirchenvorstands, die immer im Namen der ganzen Pfarrei auftrat (und vom eigentlichen Vorsitzenden, dem Pfarrer, gelassen wurde) und die, kaum daß die Orgel eingebaut war und das Gotteshaus baulich (durch mit dem Orgelneubau begründete umfassende Renovierungen) profitiert hatte, die Regeln so festlegte, daß aus der überregional und weit in die Zukunft hinein gedachten win-win-Situation für die Kunst wie für die katholische Glaubenswelt der kleine Prestigegewinn des „Dorfclans“ (Maria Widl) wurde, der die katholische Pfarrei Weimar bis heute dominiert. Win-win-Situationen waren ihr nicht vorstellbar. Diese Frau wollte, daß sie alleine gewinnt – oder niemand.
So kam es, daß auch dem von Horst Brauner ins Auge gefaßten CD-Projekt mit der neuen Franz-Liszt-Gedächtnis-Orgel Steine in den Weg gelegt wurden. Auf Anfrage von JUBAL setzte das o.g. Kirchenvorstandsmitglied mit schlanker Hand für die Einspielung eine Raumnutzungsgebühr von 9000,- (in Worten neuntausend) Euro pro Tag fest – bei einem täglichen Zeitfenster für die Nutzung von 17.00-22.00 Uhr. Da für eine Einspielung drei Aufnahmetage zu veranschlagen sind, hätte die CD-Produktion, noch bevor sie begonnen hätte, Kosten in Höhe von 27.000 Euro verursacht – eine Summe, die praktisch nicht refinanzierbar ist.
Soviel Unverschämtheit trieb den kommunikationsfreudigen, aber auch ergebnisorientierten Musikmanager Brauner um. Üblich waren, Brauners Aussagen zufolge, für eine CD-Produktion finanzielle Forderungen der Gemeinden in Höhe von wenigen hundert Euro – wenn die Pfarreien nicht, wie er sagte, überhaupt froh waren, daß man ihre Orgel auf CD herausbrachte. (Was ja auch Herz Jesu Weimar bis heute sein könnte – aber nach wie vor nicht ist.) Die sich seit 2011 manifestierende mangelnde Kooperationsbereitschaft des hiesigen Kirchenvorstands wurmte Brauner. Es mußte doch möglich sein, in Weimar eine CD zu produzieren. Im Direktkontakt bereits ‚verbrannt‘, verlegte sich Horst Brauner nach drei Jahren fruchtlosen Bemühens auf eine List. Die Eitelkeit der Verantwortlichen, die jede Kooperation so unangenehm gestaltete, machte er sich kurzerhand zunutze und brachte den Live-Mitschnitt eines Orgelkonzertes vom 10. August 2014 heraus, das aufgrund des schicken Schlagwortes „Produktion der BBC“ an den usurpierten Schalthebeln der Macht in Herz Jesu Weimar durchgewunken worden war. Die entstandene CD ist m.W. nach wie vor die einzige, die von Kapsners großer und großartiger Orgel existiert.
Die trickreich eingespielte bisher einzige CD auf der von Michael Kapsner konzipierten und finanziell ermöglichten Franz-Liszt-Gedächtnisorgel der Musikhochschule Weimar in der katholischen Pfarrkirche Herz Jesu (Bildquelle mitsamt Booklet hier)
Die Vervollständigung seines CD-Portfolios reichte dem rechtschaffenen Horst Brauner allerdings nicht aus. Er wollte die skandalösen Zustände aufgeklärt und aufgearbeitet wissen und suchte nach Mitstreitern, die möglicherweise bereits am selben Strick zogen. Bei seinen Recherchen ist er dann sehr schnell auf PuLa gestoßen. Tatsächlich ist dieser Blog ja aufgrund des Umgangs mit Prof. Kapsner online gegangen: Der Skandal um die Orgelnutzung war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hatte. An unseren Beiträgen, vor allem den Sketchen, hatte Horst Brauner zweifelsfrei ablesen können, daß er nicht der einzige Leidtragende der hiesigen Situation war. Und so ging bei der Redaktionsadresse unseres Blogs am 2. Juni 2015 die erste Email von Horst Brauner ein, in der er uns zunächst auf den Konzertmitschnitt aufmerksam machte. Ein sich rasch intensivierender Kontakt förderte bald zutage, daß auch wir am Ball bleiben würden, und so erhielten wir am 29. Juni 2015 eine Email mit etlichen vertraulichen Anhängen, die den gescheiterten Versuch einer Zusammenarbeit von JUBAL unterstützt von Organisten, von der Hochschule selber und von Orgelbau Waltershausen mit dem damaligen Kirchenvorstand (immer alleinvertreten durch seine stellvertretende Vorsitzende) von Herz Jesu Weimar dokumentieren. Die unverschämten Geldforderungen (die in Konzertraummieten vor Ort längst ihre Parallele hatten) bat uns Horst Brauner ausdrücklich publik zu machen.
Wir entschieden uns im Sommer 2015 zunächst dagegen. Sie erinnern sich: Der damalige Pfarrer hatte seine dringend erforderliche Abberufung durch den seit November 2014 im Amt befindlichen neuen Bischof via Lokalpresse (Torsten Büker in der TLZ) als enttäuschten Weggang eines gemobbten Gemeindelieblings mit Aplomb öffentlich gemacht und der Rufmord an Gereon und mir in der Presse setzte ein. Eine weitere Publikation zu handfesten Verfehlungen in der Gemeindeleitung hätten wir zum damaligen Zeitpunkt als „Nachkarten“ empfunden und wollten die Aufarbeitung dem neuen, uns damals bereits bekannten Pfarrer überlassen.
Leider ging der neue Pfarrer in Richtung Aufarbeitung nicht einen einzigen Schritt. Nicht einmal in Form einer Gemeindeversammlung. Damals nicht, und bis heute nicht, wo seit einem Jahr – nicht dank innerkirchlicher Aufarbeitung, aber dank staatlicher Ermittlungen – deutlich geworden ist, wie richtig alle lagen, die hinter den eigentümlichen Machtverhältnissen in Herz Jesu Weimar zwischen 2005 und 2015 eine Möglichkeit vermuteten, den Ortsgeistlichen unter Druck zu setzen.
Als ich zum neunten Geburtstag der Orgelweihe in Herz Jesu die Reihe zur Geschichte des Instruments und seiner organisierten Ignorierung begann, war natürlich auch ein Beitrag zur Franz-Liszt-Gedächtnisorgel und den Finanzen vorgesehen. Ich habe damals erneut mit Horst Brauner telefoniert und erfahren, daß er nach wie vor an einer Publikation auch seiner Erlebnisse interessiert war. Leider habe ich den Beitrag seelisch und/oder zeitlich nicht geschafft. Ich möchte seinem Wunsch nach Aufarbeitung aber wenigstens nun, in diesem Nachruf, entsprechen.
Horst Brauner schüttelte bis zuletzt den Kopf über die Tatsache, daß nicht einmal die Franz-Liszt-Gesellschaft Weimar Notiz von der Orgel nimmt. Zu Wettbewerbszwecken wird sie nicht genutzt. Zu Konzerten des Thüringer Orgelsommers reist jährlich ein auswärtiger Organist an, während der Nachfolger auf der Kapsner-Professur mit seinen Studierenden in der Stadtkirche den Weimarer Orgelsommer bespielt und nicht einmal Bischofsmessen orgelt. Das Gift, das seitens unserer eigenen Kirchenvorstandsvertretung zwischen 2011 und 2015 hier um die Hochschulorgel und das gesamte große Projekt versprüht wurde, läßt noch immer keine Luft zum Atmen.
Horst Brauner hat sich Aufarbeitung und Kommunikation, hat sich das Leben und die Förderung der christlichen Religion in der Aktualisierung kultureller Glaubenszeugnisse immer gewünscht. Wir haben einen zuletzt nicht mehr so häufig, aber wenn, dann mit Gewinn kontaktierten Gesprächspartner verloren, der 2015 angesichts unserer Arbeit auf PuLa als einziger die richtigen, ganz sachlich und unpathetisch vorgebrachten Worte fand: „Da haben Sie, von allem andern abgesehen, in den letzten vier Jahren eine ungeheure seelische Leistung vollbracht.“ So ist es.
Wir trauern um Horst Brauner. Und tatsächlich wüßte ich selber gern, wer zu diesem „wir“ noch alles dazugehört.
Cornelie Becker-Lamers