Versuche, die Welt aus den Angeln zu heben, haben mich nie gelockt. Wichtig und tröstlich war mir immer der Blick auf die Angeln, in denen sie sich bewegt und doch ruht.
Werner Max Oskar Paul Bergengruen, geboren am 16. September 1892, in die Kirche aufgenommen am 12. April (?) 1936, gestorben am 4. September 1964
Im Herbst 1919 vermählt sich der Deutschbalte Werner Bergengruen in Marburg mit Charlotte Hensel, einer Urenkelin von Fanny Mendelssohn-Hensel! Die Bezüge in der kleinen deutschen Konversionsgeschichte reißen nicht ab.
Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Bergengruen gerade, zeitweise sogar erfolgreich, in seiner geliebten Heimat gegen die Bolschewisten, wie wir wissen letztlich ein aussichtsloser Kampf. Daran schlossen sich wirtschaftlich schwere Jahre einer auch räumlich unsteten Existenz an, an die sich allerdings eine Phase zunehmenden, schließlich erheblichen schriftstellerischen Erfolges knüpfte.
Seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und die Gefährdung Charlottes als “Teiljüdin” führten zur Übersiedlung nach München, wo das Ehepaar die „langsame, organische“ Entwicklung hin zum katholischen Glauben abschloß:
“Die katholische Kirche [ist] wie eine Mutter einfachen Ursprunges, […] ihr Körper strotzt von Milch, ihr Herz von Wärme. [Sie] gebiert, nährt, bettet, heilt, tröstet und liebt.”
Ihr Leben hier, in einem sie auch schützenden gleichgesinnten Umfeld (Muth, Haecker, Görres) war allerdings, anders als lange angenommen, keineswegs “nur” eines der „Inneren Emigration“, vielmehr nahmen beide Bergengruens aktiv am Widerstand der „Weißen Rose” teil.
Nach dem Krieg konnte Bergengruen sich ab 1946 dank eines engagierten Verlegers in der Schweiz und dann auch glückliche zwei Jahre lang in Rom aufhalten.
Doch auch in Deutschland stellte sich der Erfolg wieder ein. Es heißt, noch 1967 habe der “Spiegel“ Studenten nach ihrem Lieblingsautor gefragt, wobei Hermann Hesse und Werner Bergengruen auf Platz eins kamen. Nur zwei Jahre später jedoch hatte sich das Bild radikal gewandelt, und heute gehört Bergengruen zu den praktisch vergessen Autoren.
Die “Studentenbewegung”, bzw. ihre intellektuellen Vorkämpfer in der „Kritischen Theorie“, hier allen voran Th. W. Adorno mit seiner Polemik gegen den “Jargon der Eigentlichkeit”, hatten ganze Arbeit geleistet, “bürgerliche”, gar christliche Autoren wurden zu Unpersonen erklärt. Daß damit zugleich der Stab gebrochen wurde, über den wohl vitalsten Teil des literarischen Widerstands gegen die braune Flut, scherte offenbar niemanden.
Bergengruen selbst hat darauf eine passende, noble Antwort gegeben:
„Mein Schicksal war nicht eines Wegbereiters./ Ich wählte nicht. Gott hat für mich gewählt./ Mein Erbe war das Los des Nachhutreiters/ und zu den letzten hat mich Gott gezählt.”
Eine ähnliche Haltung hat er übrigens auch gegenüber den Neuerungen des Zweiten Vatikanums eingenommen…
Aber, was wäre, am Tag vor Heiligabend, ein Text über Werner Bergengruen ohne sein “Kaschubisches Weihnachtslied”?
Enjoy! 🙂
Kaschubisches Weihnachtslied
Wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,
wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!
Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,
wärst auf Daunen weich gebettet worden.
Nimmer wärst du in den Stall gekommen,
dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen,
der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,
dich und deine Mutter zu verehren.
Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!
Müßtest eine Schaffellmütze tragen,
blauen Mantel von kaschubischem Tuche,
pelzgefüttert und mit Bänderschleifen.
Hätten dir den eig’nen Gurt gegeben,
rote Schuhchen für die kleinen Füße,
fest und blank mit Nägelchen beschlagen!
Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!
Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!
Früh am Morgen weißes Brot mit Honig,
frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,
mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke,
Gänsefleisch und Kuttelfleck, fette Wurst
und gold’nen Eierkuchen,
Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!
Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!
Und wie wir das Herz dir schenken wollten!
Sieh, wir wären alle fromm geworden,
alle Knie würden sich dir beugen,
alle Füße Himmelwege gehen.
Niemals würde eine Scheune brennen,
sonntags nie ein trunk’ner Schädel bluten, —
wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,
wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!
Gereon Lamers